Die Ampelkoalition kommt, und sie will offensichtlich der ins Stocken geratene Energiewende neues Leben einhauchen. Wind und Sonne sollen massiv ausgebaut werden. Es wäre gerade jetzt an der Zeit, die zwanzig Jahre der deutschen Energiewende einmal in Ruhe Revue passieren zu lassen und sich zwei zentrale Fragen zu stellen. Erstens, warum ist kein Land der Welt Deutschland auf diesem Weg gefolgt, obwohl es doch erklärte Absicht und Hoffnung aller Regierungen seit der Jahrtausendwende war, Deutschland als Vorbild zu etablieren. Der kommende Kanzler Scholz glaubt ja heute noch, Deutschland müsse jetzt nur zeigen, wie es geht, dann würden viele folgen und Deutschland könne seine Technologie weltweit verkaufen. Zweitens aber und noch viel wichtiger: Was soll der Ausbau eines Systems bringen, bei dem keine noch so große Ausbaustufe garantieren kann, dass es wetterbedingt ohne jede Vorwarnung zu einem Totalausfall des Systems kommt.
Wieder einmal ist der Monat November besonders einschlägig, weil der November es in unseren Breiten so an sich hat, oft windarm und sonnenarm zugleich zu sein, was man inzwischen in informierten Kreisen Dunkelflaute nennt. Der interaktive sogenannte Agorameter von Agora-Energiewende zeigt das in aller Klarheit (Abbildung 1). Am 16. November um die Mittagszeit lieferten von den etwa 70 Gigawatt, die Deutschland permanent braucht, Sonne und Wind nur einen Anteil, der vernachlässigbar ist. Der graue konventionelle Teil der Versorgung war gewaltig und nur mit zusätzlichem Stromimport (die rote Kurve liegt über der grauen Fläche) konnte der deutsche Bedarf gedeckt werden. Das alles passiert zwanzig Jahre, nachdem Deutschland die Energiewende eingeleitet hat. Wie will man einem Entwicklungsland erklären, dass es umsteigen muss, wenn man selbst die wirkliche Wende auch nach so langer Zeit nicht geschafft hat.
Abbildung 1
Deswegen, werden die Sonne-Wind-Lobbyisten sagen, muss der Ausbau der Erneuerbaren jetzt mit Gewalt vorangetrieben werden. Nur, was bringt das? Werfen wir doch per Simulation einen Blick in die Zukunft. Agora-Energiewende errechnet für zwanzig Jahre voraus, wie groß der Beitrag von Wind und Sonne bei unterschiedlichen Ausbaustufen der Erneuerbaren, aber bei vergleichbaren Wetterverhältnissen wie heute ist. Im Hinblick auf den Ausbau der deutschen Stromversorgung sind die Ergebnisse mehr als verblüffend – sie sind erschreckend.
Wenn man im Agorameter „Zukunft“ eingibt, dass man sich eine (schöne neue) Welt vorstellen will, in der die deutsche Stromversorgung im Durchschnitt (eines Jahres, vermute ich) zu 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen kommt, erhält man in Sekunden ein Schaubild, das die Stromversorgung der gleichen Tage im Jahr 2040 unter den heutigen Wetterbedingungen darstellt. Wer glaubt, nun müssten die Flächen, die blau und gelb sind, besonders groß aufscheinen, ist jedoch enttäuscht. Wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint, nützt auch die höchste Ausbaustufe nichts (Abbildung 2).
Abbildung 2
Im Gegenteil: Weil Deutschland in Jahr 2040 weit mehr Strom als heute braucht, nämlich etwa 100 Gigawatt, ist die Lücke in der Stromversorgung am 16. November 2040 noch viel größer als heute. Deutschland fehlen dann um die Mittagzeit etwa 80 Gigawatt Strom. 80 Gigawatt bedeuten etwa die Leistung, die 40 große Kernkraftwerke liefern könnten, wenn sie existierten. Doch sie werden, das kann man heute mit Sicherheit sagen, auch 2040 nicht existieren.
80 Gigawatt kann man auch von nirgendwo importieren, zumal, wenn die anderen Länder dem deutschen „Vorbild“ folgen und auch die Erneuerbaren ausbauen. Dunkelflaute gibt es häufig zur gleichen Zeit in ganz Nordeuropa, was bedeutet, dass die Lücken in der Versorgung dann überall gewaltig sind. Es gibt auch keinen Speicher, der 80 Gigawatt über mehrere Stunden liefern könnte. Alle sieben bayrischen Pumpspeicherkraftwerke haben eine Gesamtleistung von rund 550 Megawatt, was also etwas mehr als einem halben Gigawatt entspricht. Da müsste man wohl das halbe Mittelmehr in die Alpen pumpen, um beim Rücklauf solche Mengen Energie zu gewinnen.
Es ist unglaublich, dass diese Fakten und Prognosen nicht breiter diskutiert werden. Die deutsche Automobilindustrie beispielsweise macht jetzt (im vorauseilenden Gehorsam sozusagen) nur noch Werbung für Elektroautos. Schöne junge Menschen fahren spritzig durch die Gegend und laden freudestrahlend an den unzähligen Ladestationen. Nur, wo der Strom herkommt, das fragt keiner. Und wenn ein Energieversorger einmal Tacheles redet, dann geht das ganz schnell im breiten Strom der Energiewendebejubler unter. Der Eon-Chef, Leonhard Birnbaum, hat immerhin vor einigen Tagen Alarm geschlagen. Er sagte: „Selbst wenn in unserem Land dreimal mehr Windkraft installiert wäre, wüsste ich nicht, wie wir in einer solchen Woche ohne Kohle, Kernenergie und Erdgas auskommen würden. Wenn Kohle- und Atomenergie komplett vom Netz gehen, entsteht eine gigantische Lücke, die gefüllt werden muss. Und zwar aus einer Quelle, die zuverlässig liefert. Wir brauchen nicht nur im Durchschnitt eines Jahres genug Strom, sondern an jedem einzelnen Tag.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.
Doch die Politik lässt sich wieder einmal mehr von Gefühlen als von rationalem Kalkül leiten. Offensichtlich glaubt man, der eigenen Klientel die Wahrheit nicht zumuten zu können? Was heute unbestreitbar ist, war auch schon vor fünf Jahren unbestreitbar. Vermutlich wusste das die damalige Regierung auch und hat deswegen klammheimlich das Tempo des Umbaus zurückgefahren. Will die neue Regierung, jetzt wieder mit den Grünen, genauso naiv wie zu Anfang der 2000er Jahre das Rad einfach zurückdrehen und ohne ernsthafte politische Auseinandersetzung bezüglich der eigenen Erfahrungen mit der Energiewende den Ausbau der Erneuerbaren vorantreiben?
Ich fürchte, es wird genauso kommen, weil man den entscheidenden Zusammenhang mehr fürchtet als der Teufel das Weihwasser: Wer Kohle, Gas und Öl verdrängen will, braucht eine Energiequelle, die fähig ist, ohne CO2-Emissionen eine stabile verlässliche Stromversorgung zu gewährleisten (die Grundlast zu gewährleisten, wie es die Techniker nennen). Das ist, man mag sich auf den Kopf stellen oder nicht, nach heutigem Stand der Technik in den Ländern der nördlichen Hemisphäre nur mit Nukleartechnik möglich, und genau das haben viele Länder erkannt und bauen diese Technik aus.
Viel mehr könnte man mit Wind und Sonne vermutlich erreichen, wenn man Nordafrika die Chance gäbe, die europäische Energieversorgung in die Hand zu nehmen. Nur das ist offenbar politisch nicht gewollt, weil man sich nicht erneut in Abhängigkeit begeben will. Wir sind aber ohnehin in Abhängigkeit. Es gibt, wie ich hier und hier zuletzt gezeigt habe, ohnehin nur globale Lösungen. Wer, wie die Ampel-Koalitionäre glaubt, Deutschland müsse nur voran gehen und andere würden folgen, liegt fundamental falsch. Wenn nicht alle in die gleiche Richtung gehen, hilft es überhaupt nichts, wenn einer in dem Glauben abweicht, er habe eine nationale Lösung gefunden. Zeigt sich dann noch, dass diese nationale Lösung nicht tragfähig ist, hat er die Welt nicht gerettet, sondern hat ihr und sich selbst einen gewaltigen Bärendienst erwiesen.
Es ist höchste Zeit, die Illusion zu begraben, die sich in nichts besser niederschlägt als in dem so beliebten Zitat von Franz Alt, die Sonne schicke keine Rechnung. Das können einerseits die Stromkunden nicht unterschreiben, die seit der Energiewende Rekordpreise zahlen, das ist aber auch insofern keine Erleichterung, weil die Sonne manchmal eben gar nichts schickt, obwohl man ihre Leistung absolut kontinuierlich bräuchte.