Frankreich und Deutschland – Vergesst die Freundschaft!

Dieser Artikel ist vergangenen Freitag im „Freitag“ erschienen

Ist es purer Zufall oder Absicht: Die EU-Kommission kündigt ein sogenannten Defizitverfahren gegen Frankreich und andere Länder genau zu dem Zeitpunkt an, wo Frankreich von seinem Präsidenten Hals über Kopf in eine nationale Wahl geschickt wird, weil sein politisches Lager bei der Europawahl massiv verloren hat und die Nationalisten massiv gewonnen haben. 

Verloren hat der Präsident, weil er keine Antworten auf die drängenden politischen und wirtschaftlichen Fragen findet. Das liegt aber vor allem daran, dass ihm die europäische Politik die Hände bindet. Was werden die französische Politik und was werden die Bürger Frankreichs sagen, wenn die EU-Kommission feststellt, man müsse die Hände der Franzosen noch viel fester binden?

Die Dinge so zuzuspitzen, mag mancher in Deutschland als unfair empfinden. Macron ist doch aus vielen Gründen unbeliebt, und die Rechte profitiert schon so lange von der Schwäche der tradierten Parteien. Doch die verbreitete Unzufriedenheit in Frankreich hat Gründe, die weit zurückliegen und immer wieder an der politischen Oberfläche erscheinen, wenn die anderen Europäer glauben, sich in die französischen Verhältnisse einmischen zu müssen.

In der deutschen Öffentlichkeit erinnert man sich gelegentlich an den Beginn des Jahrhunderts, wo beide, Deutschland und Frankreich, gegen die europäischen Schuldenregeln verstoßen haben und natürlich nicht sanktioniert wurden. Völlig verdrängt jedoch hat man in Deutschland die Tatsache, dass danach die wirtschaftliche Entwicklung beider Länder weit auseinanderlief, was für die Staatschulden gravierende Folgen hatte. Während Deutschland nach 2010 schwarze Nullen feierte und den staatlichen Schuldenstand im Verhältnis zum BIP reduzierte, ging es in Frankreich mit den Schulden des Staates fast immer bergauf.  

Warum das so ist, ist leicht zu verstehen, wird aber in Deutschland systematisch verdrängt. Deutschland weist seit 20 Jahren einen gewaltigen Leistungsbilanzüberschuss auf und Frankreich hat mit Defiziten im Außenhandel zu kämpfen. Die deutsche Wirtschaftspolitik setzt darauf, dass das Ausland regelmäßig in der Größenordnung von 250 Milliarden deutsche Güter auf Pump kauft. Gelingt das, kann der Staat seine Verschuldung leicht begrenzen. 

Die Überschüsse, dröhnt es an der Stelle aus der deutschen Kulisse, sind aber doch die Folge der hohen deutschen Wettbewerbsfähigkeit und damit unserer Tüchtigkeit. Wenn da die Franzosen nicht mithalten können, ist es doch nicht unsere Schuld. Erstens ist das in der Sache falsch und zweitens wären die Überschüsse in der EWU illegal, selbst wenn sie in der Sache gerechtfertigt wären. 

Die hohe deutsche Wettbewerbsfähigkeit ist immer noch die Folge der Schröderschen Reformen, die dazu führten, dass Deutschland mit seinen Lohnerhöhungen einige Jahre weit unter dem blieb, was die Einhaltung des Inflationsziels der EZB erfordert hätte. Frankreich dagegen hat sich exakt an dieses Ziel gehalten. Folglich ist es keine Tüchtigkeit, sondern Lohndrückerei, die Deutschlands Außenhandelserfolge erklären. Und illegal sind diese Überschüsse, weil nach den Regeln, die Deutschland mit beschlossen hat, dauerhaft hohe Überschüsse in der Leistungsbilanz in genau der gleichen Weise von der Kommission geahndet werden müssten wie dauerhaftes Überschreiten der vereinbarten fiskalischen Grenzen. Von einem solchen Verfahren aber hat man in den letzten zwanzig Jahren nichts gehört. 

All das ist in Deutschland verdrängt, in Frankreich aber sehr präsent. Die schwache wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen 15 Jahre und die politische Dominanz Deutschlands in Brüssel, hat der Rechten immer wieder Munition geliefert für ihre anti-europäischen Kampagnen. Auch die Linke, insbesondere Mélenchons „Widerspenstiges Frankreich“, ballt regelmäßig die Faust in der Tasche, wenn sie an die „große Freundschaft“ mit dem Nachbarn von der anderen Rheinseite denkt. 

Freundschaft ist keine Kategorie der Politik. Wenn man in Deutschland nicht bald zur Kenntnis nimmt, in welcher Weise die deutschen Interessen regelmäßig mit den französischen kollidieren, wird man eines morgens aufwachen und feststellen, dass es das Europa, das man so dringend braucht, nicht mehr gibt.