Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker
Kann es ein besseres Geschäft auf dieser Welt geben? Man behauptet, man sei ein Computergenie und habe verstanden, dass die von den Staaten ausgegebenen Währungen dieser Welt instabil, inflationsgefährdet und überhaupt vom Aussterben bedroht seien, weil sie auf der einen Seite mit ihren nationalen Begrenzungen viel zu inflexibel seien und auf der anderen Seite zu zentralistisch. Folglich werde man selbst eine Währung in die Welt setzen, die für jedermann verfügbar und jederzeit global einsetzbar sei. Weil es so etwas in Form des Bitcoin schon gibt, dessen wilde Fluktuationen ihn nicht gerade als „Währung“ auszeichnen, behauptet man, eine Krypto-Währung geschaffen zu haben, die einen festen Wechselkurs zum US-Dollar habe.
Der Algorithmus für diese neue Kryptowährung war sicher schnell geschrieben, und schon begannen erstaunlich viele Menschen, ihre hart erarbeitete staatliche Währung gegen die elektronische Verheißung einzutauschen. Das Modell nahm rasch an Fahrt auf – wie das für ein Schneeballsystem nicht ungewöhnlich ist, solange kein Teilnehmer begreift, dass es ein Schneeballsystem ist.
Terra musste die „harte“ Währung heißen, darunter tat man es nicht. Um stabil zum US-Dollar gehalten zu werden, benötigte Terra eine eigene Kryptowährung namens Luna. Denn die Betreiber von Terra dachten mitnichten daran, das Geld, das sie von Anlegern erhielten, in auf US-Dollar lautende Papiere zu stecken, um die Parität von Terra zum US-Dollar abzusichern. Stattdessen – und das war der wirklich geniale Trick – bauten sie folgendes System auf: Wer die Währung Terra mit der 1:1 Fixierung zum US-Dollar bekommen wollte, musste dafür zuerst die Währung Luna erwerben, deren Wert sich nach Angebot und Nachfrage richtete. An ihrem höchsten Punkt, im zweiten Quartal 2022, wurde eine Einheit der Kunstwährung Luna zu über einhundert Dollar gehandelt. Man konnte also für einhundert US-Dollar eine Einheit Luna erwerben und sie in eine Einheit Terra umtauschen, die ihrerseits mit genau einem US-Dollar „abgesichert“ sein sollte.
Gewinne aus dem Nichts
Was nichts anderes heißt, als dass die Schöpfer für ihr elektronisches Nichts namens Luna zeitweise unglaubliche Gegenwerte in wirklicher Währung bekamen und gleichzeitig behaupteten, niemand gewinne oder verliere etwas, weil der Wert von Terra ja garantiert sei. Man fragt sich, wie blöd ein Mensch sein muss, um dieses „Geschäftsmodell“ nicht zu durchschauen, oder besser: wie geldgierig einerseits und erbost über die Null- bzw. Niedrigzinspolitik westlicher Zentralbanken andererseits, dass er sich auf so groben Unfug einlässt.
Wucher ist nichts dagegen, es ist einfach blanker Betrug, den die Politiker dieser Welt jedoch staunend verfolgen, als handele es sich um eine Naturgewalt zwischen Erde und Mond, der Menschen nichts entgegenzusetzen hätten. Der koreanische Gründer von Terra und Luna, Do Kwon, wird zwar mittlerweile von vielen (hier in der Financial Times) als der meistgehasste Mann Koreas bezeichnet, sitzt aber keineswegs hinter Gittern.
Um den kurz über lang drohenden Crash von Terra und Luna hinauszuschieben und das Abzocke-Spiel noch ein wenig länger betreiben zu können, bot Terraform Labs (die Firma von Kwon) potenziellen Währungskäufern schließlich einen Zins von 20 Prozent auf jede Anlage in Luna an – offenbar ohne jegliches unternehmerische Konzept, woher die 20 Prozent Zinsen herkommen sollten in einer realen Welt, in der man über zwei Prozent Zinsen schon heilfroh ist.
Spätestens da hätte jeder Anleger wissen können, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugehen konnte. Spätestens da hätten die Behörden einschreiten müssen. Zwanzig Prozent Zins sind bei einer niedrigen Inflationsrate eindeutig Wucher, aber ein genereller 20-prozentiger Zins, der von einer Institution versprochen wird, die aus nichts besteht als aus ein paar Algorithmen, sind angekündigte Veruntreuung, weil es nur mit neuen Schneeballsystemen möglich ist, das alte Schneeballsystem zu stabilisieren.
Es kam, wie es kommen musste: Luna stürzte hart auf die Erde. Von über 80 US-Dollar ging es innerhalb weniger Tage auf nahe Null. Terra fiel obendrein parallel dazu unter die Parität mit dem Dollar und der Schneeball war gelandet. Wer einen festen Kurs zu einer wirklichen Währung garantiert, muss genau dann in der Lage sein, die harte Währung in ungeheuren Mengen in ganz kurzer Zeit zu beschaffen, wenn es an den Finanzmärkten unruhig wird und – aus welchen Gründen auch immer – die Menschen die zuvor irgendwann erworbene Kunstwährung wieder in US-Doller zurücktauschen wollen (ich habe das hier im Jahr 2018 beschrieben).
Und genau das kann in einem solchen Schneeballsystem nicht funktionieren, weil die Betrüger die eingenommenen Gelder natürlich nicht auf irgendwelchen Treuhandkonten oder in irgendwelchen Safes sicher verwahren, um für den Fall der Fälle ehrlich für die eingegangenen Verpflichtungen geradezustehen, sondern weil sie sie selbst verprassen und auf die Seite schaffen.
Die Politik schweigt, …
Doch die Politik schreitet nicht ein. Wie sollte sie auch? Welcher Politiker könnte aus seinem eigenen Verständnis heraus dem Publikum erklären, wie unser Geldsystem funktioniert, geschweige denn zur Aufklärung über die absurden Fantasien der Krypto-Gemeinde beitragen? Auch die Zentralbanken versagen. Christine Lagarde (hier) erzählt, ihr eigener Sohn sei in Krypto engagiert, versäumt es allerdings, dem Publikum zu erklären, warum sie nicht einmal ihrem Sohn klar machen konnte, welchen Unfug er treibt.
Um es deutlich zu sagen: Solange eine Institution wie die Deutsche Bundesbank, die überhaupt keine geldpolitische Verantwortung mehr hat, Tonnen von Gold in ihren Kellern lagert, um irgendwie den Eindruck zu erwecken, damit werde das Papiergeldsystem „gedeckt“, kann man eigentlich auf jeden Aufklärungsversuch von vorneherein verzichten.
Solange die Mehrheit der akademischen Ökonomen in ihren Vorlesungen monetaristischen Mustern folgt und die Bedeutung der Geldmenge für die Inflation anhand der sogenannten Quantitätsgleichung ableitet, die nur dann irgendeinen Anhaltspunkt zur „Geldmenge“ liefert, wenn man Annahmen macht, die von der Wirklichkeit niemals gedeckt sind, muss man sich nicht wundern, dass reiche Spinner und Computerfreaks der Masse der Menschen einreden können, das moderne Geldsystem sei kurz vor dem Zusammenbruch und man könne sein Geld nur schützen, wenn man es der „Schwarmintelligenz“ vieler „Kryptowährungen“ anvertraue.
Durch tatsächliche Knappheiten in bestimmten, für die Realwirtschaft zentralen Bereichen (Beispiel Rohstoffe für Energie und Lebensmittel) haben die Verbraucherpreise stark zugelegt und droht wegen mangelnder Kooperation von Tarifparteien und Zentralbanken eine anhaltende Inflation in unerwünschter Höhe. Dass exakt in dieser Zeit die Kryptowährungen, die doch genau mit dem Versprechen, vor dem Wertverlust der etablierten Währungen zu schützen, ins Rennen gegangen sind, im Wert abstürzen, weil alle Welt sie so schnell wie möglich dank steigender Zinsen und schwächelnder Weltwirtschaft loswerden will, ist ein Treppenwitz der Geschichte. Denn der Absturz von Luna und Terra hat das gesamte Krypto-Casino aufgemischt, so dass auch der Bitcoin seinen Wert gegenüber November 2021 halbiert hat.
… die „Experten“ erzählen wirres Zeug …
Einfach unerhört, um nicht zu sagen: unanständig ist aber, wie diese Vorgänge in der Finanzbranche von sogenannten Experten kommentiert werden: Einer „betont, es gäbe noch keine fundierte Datengrundlage für eine langfristige Betrachtung des Bitcoin.“ – als ob es empirischer Belege bedürfe, ein eindeutig unproduktives, allein auf Spekulation basierendes System als das zu entlarven, was es ist: ein Abzocke-Spiel, bei dem auf Kosten von entweder Spielsüchtigen, naiven, geldgierigen, oft jungen Leuten oder auch frustrierten Arbeitskräften, die für ihrer Hände Arbeit unangemessen bezahlt werden, große Player und Betrüger ihre Taschen füllen.
Eine andere Expertin verhöhnt die Anleger geradezu mit dem Satz „Vielen Leuten tut das derzeit weh und es findet gerade ein böses Erwachen statt. Der Kryptomarkt ist wie eine Achterbahnfahrt. Man muss sich anschnallen und die Fahrt genießen (sic!).“ Und das i-Tüpfelchen liefern die „etwas wagemutigeren Kryptoexperten“, die angesichts des Wertverlustes dazu „raten, jetzt sei der Zeitpunkt zu einem neuen Einstieg gekommen.“ Was ja nichts anderes heißt, als eine neue Roulette-Runde einzuläuten und um viele Dumme zu werben, die sich auf diesen Wahnsinn einlassen.
Der hier zitierte Bericht entstammt immerhin der Internetseite des öffentlich-rechtlichen Mediums „Tagesschau“. Dessen Verfasser entblödet sich nicht, in der Unterüberschrift seines Beitrags zu schreiben: „Der Kurseinbruch von Bitcoin und anderen Kryptowährungen hat Hunderte Milliarden Dollar vernichtet.“ Aha, vernichtet. Und wie, bitte schön, sind diese Hunderte Milliarden Dollar zuvor entstanden? Durch das Aufblasen eines Ballons namens Kryptowährungen mit heißer Luft. Eigentlich sollten die öffentlichen Medien durch vernünftige Berichterstattung dazu beitragen, gefährliche Märchen zu entlarven und so von Anfang an unschädlich zu machen. Aber dazu müsste man seinen klaren Menschenverstand einsetzen und den Mut haben, beim Des-Kaisers-neue-Kleider-Spiel nicht mitzuspielen.
Doch wie sollte das gelingen in einer Welt, in der eine bekannte und angesehene private Hochschule in Frankfurt auf ihrer Internetseite mit folgendem Text für einen „Zertifikatsstudiengang Certified Blockchain Expert“ mit folgendem Text wirbt:
„Blockchain gilt als DIE brilliante Technologie unserer Zeit. Begründet im Jahr 2008, als Satoshi Nakamoto das Whitepaper zu Bitcoin veröffentlichte. Seitdem sind zahlreiche Kryptowährungen entstanden, hunderte Startups und Unternehmen auf der Welt haben entsprechende Projekte auf den Weg gebracht und im Ökosystem von Ethereum – der zweitgrößten Kryptowährung – arbeiten Tag für Tag Programmierer an zukünftigen Anwendungen. All dies – die investierten Summen, die engagierten Unternehmen, die Unterstützer – spricht dafür, dass hier Technologien entstehen, die vor allem das Finanzsystem verändern werden. Die Kryptowelt ist längst viel zu groß, um wieder zu verschwinden.“
Ja genau, diese Technologien verändern unser Finanzsystem, weil die Märchen, die mit ihnen transportiert werden, nicht als solche entlarvt werden. Es gibt in der realen Welt kein Tischlein-deck-dich für alle, sondern nur eines in der Finanzwelt für ein paar Gerissene. Und die haben inzwischen – nicht nur dank der Dummheit der Massen, sondern auch dank der Dummheit und Feigheit der Volkswirtinnen und Volkswirte – eine Macht entwickelt, die in der Tat nicht so schnell verschwinden wird. Dafür sorgt schon die Ausbildung an so brillanten Hochschulen wie der Frankfurt School of Finance and Management.
… und die Zentralbanken versagen
In ganz enormem Maß versagt haben die großen Zentralbanken der Welt, die, wie die EZB, den Monetarismus klammheimlich beerdigt haben, statt das transparent, öffentlich und mit Nachdruck zu tun. Der Angriff, den das auf die neoklassisch-neoliberale Lehre von der Ökonomik dargestellt hätte, war dann wohl doch zu unangenehm und in weiten Kreisen unerwünscht. Offenbar haben die verantwortlichen Zentralbanker nicht geahnt, wie tief verankert in den menschlichen Vorurteilen die Vorstellung ist, man brauche eine „stabile Geldmenge“, um die Entwertung des Geldes zu verhindern, oder doch zumindest in engen Grenzen zu halten.
Der von den Monetaristen immer wieder benutzte Satz von „too much money chasing too few goods“ scheint so unmittelbar einleuchtend, dass bis heute kaum ein Ökonom versucht hat, ihn als das zu entlarven, was er ist, nämlich die Darstellung einer Beziehung zwischen zwei Größen, die man niemals für das verwenden kann, was man vorgibt damit zu tun: die Inflation zu bekämpfen oder sie auch nur vorherzusagen.
Man weiß trotz dieses so einleuchtenden Satzes im Vorhinein nämlich niemals, was „zu viel Geld“ bedeutet. Ob das vorhandene Geld „zu viel Geld“ war, lässt sich nur im Nachhinein sagen, wenn eine Inflation schon eingetreten ist. Dann weiß man, dass die Notenbanken einen Prozess finanziert haben, der inflationär war. Dann kann man in der Tat sagen, dass dieser Prozess nur deswegen zustande gekommen ist, weil die Notenbanken ihn finanziert haben.
Daraus folgt aber genau das nicht, was die große Mehrheit der Ökonomen behauptet. Denn die Finanzierung durch die Notenbank war nur die notwendige Bedingung für die Inflation, die sich aus ganz anderen Gründen ergeben hat. Nur wenn die Notenbankfinanzierung die hinreichende Bedingung für das Entstehen eines inflationären Prozesses wäre, könnte man aus der Tatsache, dass eine bestimmte Geldmenge gestiegen ist, die Prognose ableiten, dass eine Inflation eintreten wird.
Da das nicht der Fall ist, hat der Satz von der „zu großen“ Geldmenge und der „zu kleinen“ Gütermenge keine Bedeutung. Dennoch eignet er sich hervorragend, um Verwirrung zu stiften, und genau das tut die Mehrheit der Ökonomen damit. Die krisenbedingt hochgefahrenen Staatsdefizite und die Nullzinspolitik haben ein Übriges bewirkt, so dass große Teile der Bevölkerung dem Geldsystem und der eigenen Landeswährung skeptisch gegenüberstehen und nach Alternativen fahnden. Die Tatsache, dass Japan bereits seit dreißig Jahren eine Nullzinspolitik betreibt und selbst jetzt, in einem Umfeld hoher Preissteigerungen auf einigen Weltmärkten, noch sehr geringe Inflationsraten aufweist, wird einfach nicht zur Kenntnis genommen.
Entscheidend aber wäre es, dass diese Zusammenhänge von den Notenbanken und den Spitzenpolitikern erklärt werden, um eine noch weitergehende Verunsicherung der Massen zu verhindern. Doch wie kritisiert die EZB-Präsidentin Christine Lagarde die Kryptowährungen? „Meine sehr nüchterne Einschätzung ist, dass Kryptowährungen nichts wert sind, dass sie auf nichts basieren, dass es keinen zugrunde liegenden Vermögenswert gibt, der als Sicherheitsanker fungiert.“ Und das ist beim Euro eben anders, soll wohl der Normalbürger daraus schlussfolgern, weil hinter dem ja ein großes, ihn stabilisierendes Vermögen steht. Und unter diesem „Sicherheitsanker“ stellt sich Otto Normalverbraucher eben die Goldbestände in den Tresoren der Bundesbank vor.
Diese Art der „Aufklärung“ befeuert die Verunsicherung der Menschen hinsichtlich unseres Geldsystems statt sie zu bremsen. Wenn die EZB-Chefin dann noch anfügt „An dem Tag, an dem wir die digitale Währung der Zentralbank herausbringen, einen digitalen Euro, werde ich garantieren, dass die Zentralbank dahinter steht, und ich denke, dass sie sich stark von vielen dieser Dinge unterscheidet“, dürfte die Beruhigungsstrategie ihr Ziel vollkommen verfehlen. Frau Lagarde hätte sagen müssen, dass hinter dem Euro – ob in Münzen-, Papier- oder digitaler Form ist völlig gleichgültig – ein großer Zusammenschluss von Volkswirtschaften mit einem hohen Sachkapitalstock steht, deren Bürger sich darüber weitgehend einig sind, dass sie arbeitsteilig mit diesem Kapitalstock jeden Tag Waren und Dienstleistungen hervorbringen wollen. Und sie hätte sagen müssen, dass die Stabilität des Glaubens an den Wert der Währung wesentlich davon bestimmt wird, ob produktive Arbeit mit dieser Währung vernünftig bewertet wird, oder ob die Währung von einigen Menschen dazu missbraucht werden kann, sich ohne produktive Arbeit zu bereichern.