Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker
Nach langen Verhandlungen und einer erheblichen Streikanstrengung der Gewerkschaften ist es bei den Bundes- und Kommunalbediensteten zu einer Tarifeinigung gekommen. „Das ist eine nachhaltige Steigerung der Einkommen, die beachtlich ist.“, heißt es von Seiten der Dienstleistungsgewerkschaft, während von vielen Volkswirten (so im Handelsblatt) vor den inflationären Gefahren des Abschlusses, der berühmten Lohn-Preis-Spirale, gewarnt wird. Doch wie hoch ist der Abschluss tatsächlich?
Die Gewerkschaften hatten im Durchschnitt über 10 Prozent für 12 Monate gefordert. Wieviel es jetzt geworden ist, lässt sich aufgrund von Einmalzahlungen und Festbeträgen nicht pauschal sagen. Wir haben die bekannt gewordenen Details des Abschlusses für zwei verschiedene fiktive Gehaltsstufen zusammengestellt und so die jahresdurchschnittlichen Zuwachsraten berechnet (siehe Tabelle). Wichtig ist bei diesem Abschluss, die Netto- und die Bruttoergebnisse separat zu betrachten, weil die Einmalzahlungen von Steuern und Sozialabgaben als Entlastungsangebot des Staates für Arbeitgeber (also auch für ihn selbst in dieser Funktion) befreit werden, wie das schon für ähnlich gelagerte Abschlüsse in der Privatwirtschaft gilt.
Wir beginnen also im Januar 2023 mit einem Bruttoeinkommen in der unteren Lohngruppe von 2500 € pro Monat und in der oberen mit 5500 €. Netto bedeutet das ein Arbeitseinkommen von ungefähr 1875€ bzw. 3300 €. Nun werden die verschiedenen ausgehandelten Komponenten auf dieses Gehalt aufgeschlagen, zunächst die steuer- und abgabenfreien 3000 €, die in verschiedenen Teilbeträgen bis Februar 2024 ausgezahlt werden, aber einmalig sind, sich also nicht auf das Gehalt in der Zeit danach auswirken. Ab März 2024 kommen die sogenannten tabellenwirksamen Leistungen zum Tragen, die also dauerhaft sind. Dabei handelt es sich um eine feste Summe von 200 € pro Monat plus einen Aufschlag auf das jeweilige Gehalt von 5,5 Prozent. Da der Tarifvertrag bis Ende 2024 läuft, ändert sich bis zum Ende nächsten Jahres an den im März 2024 erreichten Summen nichts mehr.
Tabelle
Bei dieser Rechnung ergeben sich folgende Lohn-Zuwachsraten: Im Durchschnitt des Jahres 2023 wird man in der unteren Lohngruppe brutto 8,5 Prozent mehr verdient haben als 2022 und netto sogar 11,4 Prozent. In der oberen sind es 3,9 Prozent brutto und 6,5 Prozent netto. Das ist angesichts der für die Einkommensgruppen unterschiedlich stark ins Gewicht fallenden Preissteigerungsraten insbesondere für Lebensmittel kein extremer Unterschied. Vielmehr tragen die unteren Einkommensgruppen einen Gutteil der Belastung, die laut einer Studie des Kreditversicherers Allianz Trade auch auf mangelnden Wettbewerb im Bereich des Lebensmittelhandels zurückzuführen ist.
Im nächsten Jahr verändert sich das Bild: 2024 wird man gegenüber 2023 unten brutto 4,2 Prozent mehr verdient haben und netto 2,0 Prozent; in der oberen Gruppe sind es 4,4 Prozent brutto und 2,3 Prozent netto. Diese längerfristige Entwicklung der Löhne im öffentlichen Dienst ist daher keineswegs inflationär. Kassandrarufe, dieser Abschluss lege den Grundstein für eine Lohn-Preis-Spirale, sind unangebracht. Zwar bringen die Einmalzahlungen entsprechend der temporären Preissteigerungen einen Ausgleich, dieser ist jedoch eindeutig ebenfalls temporär. Die europäische Geldpolitik hat keinen Anlass, aus diesem deutschen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst Gründe für eine fortgesetzte Straffung ihrer Politik abzuleiten. Dass Volkswirte dennoch genau mit Verweis auf diesen Tarifabschluss dazu raten, ist unverantwortlich.