Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker
Neue Daten des Statistischen Bundesamtes (siehe Pressemitteilungen von heute) machen es auch dem letzten Zweifler klar: Die kurze Phase der hohen Preissteigerungen ist Vergangenheit und die vollständige Normalisierung der Entwicklung auf der Verbraucherstufe ist nur noch eine Frage von wenigen Monaten.
Das Amt hat die industriellen Erzeugerpreise nach unten korrigiert und die Großhandelspreise für April veröffentlicht. Dazu wurden vergangene Woche die Erzeugerpreise für landwirtschaftliche Produkte für März veröffentlicht. Die Abbildung 1 zeigt die Zuwachsraten gegenüber dem jeweiligen Vorjahresmonat für diese drei Preisindizes. Das Ergebnis ist offensichtlich: Die hohen Preissteigerungen waren ein temporäres Ereignis, die Großhandelspreise sinken schon und die anderen werden in Kürze folgen. Es gibt offensichtlich auf keiner Stufe neue Impulse, die ein Wiederaufflammen dessen, was viele als inflationären Prozess angesehen haben, ermöglichen würden.
Abbildung 1
Betrachtet man den Verlauf der Erzeugerpreise und der Großhandelspreise zusammen mit den Verbraucherpreisen über eine lange Periode (Abbildung 2), sieht man deutlich, wie die Verbraucherpreise regelmäßig den vorlaufenden Erzeuger- und Großhandelspreisen gedämpft folgen.
Abbildung 2
Insbesondere die Schwankungen im Zuge der globalen Finanzkrise von 2008/2009 belegen, dass die Verbraucherpreise den beiden anderen Indizes mit mehr oder weniger großer Verzögerung nachlaufen. Im Jahr 2011 beispielsweise waren Erzeugerpreise und Großhandelspreise schon auf dem Rückzug, aber die Verbraucherpreise stiegen noch eine Weile leicht. Auch der Rückgang dieser Preise vor der Corona-Krise kam bei den Verbraucherpreisen mit einer gewissen Verzögerung an.
Da solche Verläufe, wie hier gezeigt, auch in der gesamten EWU zu beobachten sind, kann man nur noch einmal konstatieren, dass die Behauptung der EZB, es gebe einen anhaltenden Inflationsdruck, jeder Grundlage entbehrt. Nimmt man mit ins Bild, dass die EZB selbst von einer Wirkungsverzögerung ihrer Politik von 18 bis 24 Monaten ausgeht, stellt sich die Frage nach der Angemessenheit der aktuellen Geldpolitik und erst recht angekündigter weiterer Zinserhöhungen immer dringlicher.
Wenn den Verantwortlichen in der EZB die Lohnpolitik in einigen kleineren EWU-Mitgliedsländern Sorge bereitet, sollte sie mit den Tarifparteien dort sprechen und helfen, Lösungen für die sozialen Probleme zu finden, die aus den extremen Preisschüben entstanden sind (Stichwort Stauchung der Lohnstruktur). Die EWU insgesamt durch ein Ausbremsen der Investitionstätigkeit zu schädigen, hilft den Ländern mit nicht stabilitätsorientierter Lohnpolitik keineswegs. Denn deren Verlust an internationaler Wettbewerbsfähigkeit wird sich umso negativer auswirken, je mehr Europas Konjunktur durch die Geldpolitik geschwächt wird. Die aktuelle Prognose der EU-Kommission liest sich vor diesem Hintergrund wie das sprichwörtliche Pfeifen im Walde.