(Dieser Artikel ist heute auf Telepolis erschienen)
Es gibt ungeschriebene Gesetze, die jeder, der damit umgehen muss, kennt, über die aber niemand offen redet, weil jeder Versuch, sie an die Öffentlichkeit zu bringen, von der Community mit ewigem Ausschluss bestraft wird. Die stärkste Community auf dieser Welt ist ohne Zweifel die der Finanzmärkte.
„Ihr wollt euch doch nicht etwa mit den internationalen Finanzmärkten anlegen“, hat vor einem Vierteljahrhundert ein berühmter grüner Außenminister zu einem berühmten sozialdemokratischen Bundesfinanzminister gesagt, und diese Aussage ist seitdem Programm aller Bundesregierungen. Alles darfst du tun, alles darfst du kritisieren, aber die Finanzmärkte und die sie begleitenden Institutionen müssen absolut tabu sein für einen deutschen Politiker.
Seit dem Beginn der 2000er Jahre ist viel passiert. Die „Märkte“ und die ihnen nahestehenden Institutionen in Washington D.C. haben viel Leid über die Welt gebracht. Fehlgeleitete Finanzmärkte haben einige der größten und wichtigsten Entwicklungsländer in Lateinamerika an den Rand der Regierungsfähigkeit gebracht, sie haben in Afrika die Entwicklung aus der Armut heraus massiv behindert, sie haben in Osteuropa Demokratien zum Wanken gebracht, sie haben schließlich sogar ihren eigenen Mutterländern eine Krise eingebrockt, die nur deswegen nicht wie in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zu einem politischen Kollaps der westlichen Welt geführt hat, weil man nicht mehr so naiv wie vor hundert Jahren war und dem ordoliberalen Nachtwächter die Krisenbekämpfung überlassen hat.
Da staunt man nicht schlecht, dass die SPD, die immerhin eine sozialdemokratische Entwicklungsministerin stellt, sich 2024 dazu durchringt, in ein Papier über die Demokratisierung der internationalen Ordnung, den Punkt „Reformen der Internationalen Finanzinstitutionen“ aufzunehmen. Liest man allerdings, was da geschrieben steht, kommt die Ernüchterung nach ungefähr einer Sekunde:
„Wir unterstützen die von Bundesministerin Svenja Schulze vorangetriebenen Reformen der Weltbank, mit dem Ziel, für fairere Finanzierungsangebote zu sorgen. Insbesondere Investitionen in öffentliche Güter wie Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Klimaschutz, Biodiversität, den Schutz von Wäldern und Meeren und die Pandemievorsorge müssen zukünftig stärker die Arbeit der Weltbank und regionaler Entwicklungsbanken prägen. Wir setzen uns dafür ein, dass Programme des Internationalen Währungsfonds in Schuldenkrisen soziale Teilhabe schützen und Ungleichheit vorbeugen.“
Bravo, gesprungen als Tiger, gelandet als Maus. Die „Demokratisierung der internationalen Ordnung“ muss ohne die Reform dessen auskommen, was einer Demokratisierung (und Rationalisierung) am meisten im Wege steht. Weil die SPD sich wieder einmal nur für die Beseitigung der Schäden zuständig fühlt, die von den Märkten verursacht werden, setzt sie sich dafür ein, dass die neoliberalen und in fast allen Fällen vollkommen fehlgeleiteten Programme des Internationalen Währungsfonds (IWF) ein soziales Mäntelchen bekommen und die soziale Teilhabe, die es praktisch nirgendwo gibt, geschützt wird.
Ich habe mir gerade ein neues Programm des IWF für ein afrikanisches Land (für Nigeria) angesehen, wo eine neue Regierung verzweifelt versucht, etwas Stabilität zu bekommen und die Voraussetzungen für Wachstum zu schaffen. Da diktiert der IWF (ohne wirkliche Schuldenkrise) der Regierung die Wirtschaftspolitik und hat natürlich nichts im Sinn außer Restriktion von Seiten der Geldpolitik und von Seiten der Finanzpolitik. Das Tollste aber ist, dass diese von uns finanzierte und geführte Institution es im Jahre 2024 schafft, in einem solchen Programm die Freigabe des Wechselkurses der Landeswährung Naira zu fordern und zur Begründung folgenden Satz zu schreiben:
“Letztlich – sobald die makroökonomische Politik ausreichend gestrafft und das Vertrauen in die CBN (die Notenbank) wieder gestärkt ist – wird es wichtig sein, dem Naira (der nigerianischen Währung) zu erlauben, sich auf seinem marktbestimmten Gleichgewichtsniveau einzupendeln, was die Wettbewerbsfähigkeit Nigerias unterstützen, die Umverteilung produktiver Ressourcen ermöglichen und jedem Zugang zu Devisen geben würde“ (meine Übersetzung).
Die „Märkte“ werden einen Gleichgewichtskurs finden! Das ist an Hohn nicht mehr zu überbieten. Gleichzeitig kann man in der Financial Times (hier) lesen, dass die Spekulanten schon Gewehr bei Fuß stehen, um eine Zinserhöhung in Nigeria für ein „Investment“ zu nutzen. Das ist die Ankündigung von carry trade (wie im letzten Atlas der Weltwirtschaftausführlich beschrieben) und carry trade ist exakt das Gegenteil von „Investments“, die zu einem Gleichgewichtskurs führen.
Sorry, liebe SPD, aber es geht nicht darum, die Programme des IWF sozial abzusichern, sondern es geht darum, sie zu verhindern. Um sie zu verhindern, muss man aber viel mehr investieren, als das die SPD bereit zu tun ist. Man braucht vor allem Menschen, die intellektuell in der Lage sind, den im IWF vorherrschenden Neoliberalismus mit der dahinterstehenden neoklassischen Gleichgewichtstheorie intellektuell herauszufordern. Es reicht nicht, als Finanzminister oder Kanzler nach Washington oder zu den G-7 Treffen zu fahren und den guten Freund der Amerikaner zu geben. Gerade die Amerikaner halten sich niemals an das, was der IWF vorschlägt, aber sie sind es fast im Alleingang, die den Fonds als Instrument zur Förderung der Interessen von Wall Street benutzen.
Dass Europa sich dafür hergibt, ist der eigentliche Skandal und macht Europa in den Augen der Entwicklungsländer zum Mittäter. Die kleinen Beamten aus dem BMF und aus der Bundesbank, die Deutschland als „Exekutive Director“ nach Washington schickt, haben keine andere Wahl als bei allem und jedem mit ja zu stimmen, wenn in den europäischen Hauptstädten einschließlich der Europäischen Institutionen ein Vakuum in Sachen Makroökonomie und Finanzmärkte herrscht.
Es ist übrigens in diesem Sinne ein Unding, dass sich alle Regierungen der letzten 25 Jahre in Europa ganz sicher sind, dass auch der jeweilige Vertreter der nationalen Notenbank in den Washingtoner Gremien und bei den internationalen Politikertreffen eine wichtige Rolle zu spielen hat. Wer die internationale Ordnung demokratisieren will, muss zunächst zuhause dafür sorgen, dass eine technokratische Institution ohne jede demokratische Legitimation wie die Deutsche Bundesbank weder Sitz noch Stimme in den Gremien hat, die für die internationale Ordnung entscheidend sind. Notenbanken, und dazu gehört die Deutsche Bundesbank vorneweg, fühlen sich nicht nur als Teil der Community des internationalen Finanzsystems, zumeist sind sie auch Vorreiter oder Verteidiger einer neoliberalen Ideologie, die sie mit ihren Veröffentlichungen stillschweigend unter die Leute bringen.
Man sieht, wer wirklich etwas ändern will, muss große Räder drehen. Kleine 5-Punkte-Papiere kann man sich sparen. Übrigens, nicht nur das Herz schlägt links, es ist die linke Gehirnhälfte, die vor allem die Aufgabe des logischen Denkens übernimmt. Die einzigen, die das wohl niemals zur Kenntnis nehmen werden, sind diejenigen, die sich selbst auf der linken Seite des politischen Spektrums verorten.