Dieser Artikel ist heute auf Telepolis erschienen (telepolis.de)
Die Grünen sind bei der Europawahl brutal abgestürzt. In Deutschland hat sich ihr Stimmenanteil fast halbiert und in Frankreich ist er mit 5 Prozent sogar nahezu auf ein Drittel des Wertes von 2019 abgeschmolzen. Wer glaubt, das sei das Ende der bisherigen Art des Engagements in Sachen Klimapolitik in Europa, liegt richtig; wer aber glaubt, das sei das Ende einer angemessenen Klimapolitik für Europa und die Welt, liegt falsch.
Der Absturz der Grünen ist eine gewaltige Chance, wenn sich die europäische Politik von dem hektischen Aktivismus verabschiedet, der zur Wahlniederlage der Grünen geführt hat, und alle politischen Kräfte für eine global ausgerichtete Strategie bündelt. Was die rein national ausgerichteten Grünen vor allem in Deutschland nicht sehen wollen, ist der globale Zusammenhang und die zwingende Notwendigkeit, die Klimapolitik auf die Förderung und die Produktion der fossilen Energieträger zu fokussieren, anstatt sich auf der Seite der Nachfrager in nationalem Klein-Klein zu verkämpfen.
Es ist wohl schon seit ewigen Zeiten in den grünen Genen verankert, dass Klima- und Umweltpolitik zu Hause beginnt. Nur wenn jeder Einzelne sich anstrengt und seinen Beitrag leistet, so der feste Glaube, kann insgesamt das Ziel erreicht werden. Es ist genau dieser Geist, der das Pariser Abkommen von 2015 entscheidend geprägt hat. Jedes Land verpflichtet sich, seinen Anteil beizusteuern und in jedem Land muss der Einzelne sein Leben so einrichten, dass das Land insgesamt das Ziel erreicht. Wenn der Bürger sich nicht freiwillig anpasst, muss man ihn durch tausend verschiedene Vorschriften dazu zwingen. Man schreibt ihm vor, welches Auto er zu fahren und welche Heizung er zu installieren hat.
Dieser Ansatz ist jedoch, wie jeder aufgeklärte Mensch wissen könnte, kläglich gescheitert. Nichts ist seit 2015 passiert, das uns veranlassen könnte zu glauben, die globale Wirtschaft ließe sich auf diese Weise in die richtige Richtung bewegen. Die Grünen wollen es aber nicht wahrhaben, weil ihnen Verstand, die Phantasie und der politische Mut fehlen, um einen wirklich erfolgversprechenden Weg einzuschlagen.
Der Production Gap Report
Es gibt von den Vereinten Nationen seit 2017 bereits einen jährlichen Bericht über die sogenannte production gap, das ist die Lücke zwischen dem, was an Einschränkung bei der Förderung und der Produktion fossiler Energieträger auf der Weltebene notwendig wäre und dem, was tatsächlich geschieht. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Produktion fossiler Energieträger schreitet ohne sichtbare Verzögerungen voran und die Lücke zwischen dem, was notwendig wäre und dem, was ist, wird größer. Im Vorwort des Reports von 2023 heißt es:
„Die Regierungen planen, bis 2030 mehr als die doppelte Menge an fossilen Brennstoffen zu produzieren und zu verbrauchen, als es mit dem Pfad zur Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf 1,5°C vereinbar ist. Diese Pläne stellen die globale Energiewende in Frage. Sie stellen die Zukunft der Menschheit in Frage. Die Regierungen müssen aufhören, das eine zu sagen und das andere zu tun, vor allem, was die Produktion und den Verbrauch fossiler Brennstoffe betrifft.“
Mit anderen Worten: Einige Länder auf der Welt können sich auf den Kopf stellen, sie können ihre Bürger malträtieren, so lange sie wollen, sie können jedem Einzelnen ein schlechtes Gewissen einreden, es bewirkt alles nichts, so lange weiter munter Öl, Kohle und Gas gefördert werden. Alle Brennstoffe, die aus der Erde herausgeholt werden, verschwinden mit Sicherheit irgendwo auf der Welt in irgendeiner Verbrennungsanlage. Nur wenn es gelingt, die Produzenten fossiler Energieträger, von denen es rund zwanzig auf der Welt gibt (darunter die USA als einer der größten), davon zu überzeugen, dass sie ihre Produktion Schritt für Schritt herunterfahren müssen, kann mit einer rationalen Klimapolitik begonnen werden. Nur wenn sich aus dieser Verknappung eine permanente globale Preissteigerung für diese Stoffe und damit einen globalen Anpassungszwang gibt, kann man ernsthaft darüber reden, was die nationalen Regierungen tun können, um ihren Bürgern und insbesondere den Ärmsten, die Anpassung zu erleichtern.
COP 28 im Jahr 2023 ist ebenfalls gescheitert
Allerdings kann man die Frage, ob und wann ein Versuch, die Produzenten der fossilen Energieträger an einen Tisch zu bekommen, um die Verhandlungen zur Rückführung der Produktion zu beginnen, erfolgreich sein könnte, mittlerweile klar beantworten. Bei der letzten Klimakonferenz (COP 28) im vergangenen Dezember stand tatsächlich der politische Vorstoß vieler Delegationen auf der Agenda, in das Schlusskommuniqué einen Satz zu schreiben, der solche Verhandlungen anstößt. Doch auch das ist kläglich gescheitert. Wie hier beschrieben, weigerten sich die Produzentenländer, auch nur die Möglichkeit ins Auge zu fassen, in internationalen Verhandlungen ihre nationalen Interessen zu überdenken und zu korrigieren. Was nichts anderes heißt, dass es viele Jahre bis Jahrzehnte dauern wird, bevor überhaupt an eine erfolgversprechende globale Aktion zu denken ist.
Damit ist, das kann und muss man so hart und klar sagen, jede nationale Klimapolitik sinnlos geworden. Die Grünen stehen für eine Politik, die nicht nur die Bürger mit allen möglichen Maßnahmen malträtiert und ihnen ein permanent schlechtes Gewissen einredet, sie stehen auch für eine bemerkenswerte Unehrlichkeit in Sachen Erfolgsaussichten ihrer Politik. Spätestens nach der COP 28 hätten auch die deutschen Grünen zugestehen müssen, dass ihre nationalen oder auch europäischen Versuche, den Klimawandel einzudämmen, vollkommen sinnlos sind, weil es in absehbarer Zukunft kein erfolgversprechendes globales Abkommen mit den Produzenten geben wird. Doch man schweigt lieber und tut so, als ob es nur der mangelnde politische Wille bei uns ist, der die Welt von einer erfolgreichen Klimapolitik trennt.
Nun öffnet das Scheitern der Grünen womöglich die Tür zu einer Klimapolitik, die nicht mit nationalen Illusionen arbeitet, sondern auf einer realistischen globalen Strategie beruht. Der grüne Aktionismus, der sich selbst und vielen wohlmeinenden Bürgern vormacht, man müsse sich nur genügend selbst kasteien und einschränken, dann habe man genug getan, was immer sonst auf der Welt geschieht, bringt nicht nur nichts, er ist sogar kontraproduktiv. Würde man statt dessen die gesamt politische Energie auf die Frage verwenden, wie man die Produzenten dazu bewegen kann, die fossilen Energieträger in der Erde zu lassen, käme man vielleicht einen Schritt weiter.
Für viele Produzenten könnte es nämlich ein attraktives Szenario sein, zusammen mit den Konsumentenländern an einem Abkommen zu arbeiten, das den Produzenten bei steigenden Preisen für die fossile Energie noch einige Jahre hohe und vor allem stabile Erträge verspricht, auch wenn es einen klaren Horizont bezüglich des endgültigen Auslaufens der Produktion gibt. Absolute Voraussetzung dazu ist aber, dass die USA, einer der größten Produzenten und gleichzeitig einer der größten Konsumenten, bereit sind, über die gewaltige Hürde ihrer nationalen fossilen Interessen zu springen. Bisher gibt es dafür in keinem der politischen Lager in den USA auch nur den Hauch einer Chance. Wer in Europa ernsthaft Klimapolitik betreiben will, muss bereit sein, sich dieser Auseinandersetzung zu stellen. Wer dazu nicht den Mumm hat, hat kein Mandat für ernsthafte Klimapolitik, weder mit zehn noch mit 20 Prozent.