Symbolpolitik mit Helm oder wirksame Wirtschaftspolitik?

Wenn ein führender Sozialdemokrat einen Helm aufsetzt, ist prinzipiell Vorsicht geboten. Ich weiß nicht mehr, ob Gerhard Schröder im Jahr 1999, als er in großer Pose dem Baukonzern Holzmann zur Seite sprang, tatsächlich einen Helm aufhatte, aber symbolisch hatte sich der sozialdemokratische Bundeskanzler auf jeden Fall den Helm aufgesetzt, als er den Konzern und seine 25 000 Arbeitsplätze „rettete“. Der Macher hatte auf jeden Fall gezeigt, was Sache ist. Ein paar Jahre später ging Holzmann dann doch sang- und klanglos unter. 

Als Olaf Scholz in dieser Woche in großer Pose mit Helm 3000 Arbeitsplätze bei einer Werft „rettete“, die Kreuzfahrtschiffe baut, hatte man wieder das ungute Gefühl, dass sich hier ein Macher in Szene setzt, der für billiges Geld (es geht um lächerliche 200 Millionen Euro, die der Bund temporär zur Verfügung stellt) ganz große politische Effekte erzielen will. Man kann sich doch als Sozialdemokrat, zudem in einem der wenigen von den Sozialdemokraten regierten Bundesländern, die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sich vor laufenden Fernsehkameras in einer gewaltigen Werkshalle von 3000 behelmten Mitarbeitern feiern zu lassen.

Ich weiß nicht, welche betriebswirtschaftlichen Probleme die niedersächsische Werft hat und ich bezweifle, dass die Berliner Politik es ganz genau weiß. Darum geht es aber auch gar nicht. Es geht darum, dass in Deutschland derzeit jeden Monat etwa 20 000 Arbeitsplätze verloren gehen, um die sich kein Politiker schert (wie hier gezeigt). Niemand zieht den Helm auf, um wenigstens öffentlich dafür zu kämpfen, dass man etwas gegen die Talfahrt der deutschen Wirtschaft tut. Inzwischen gibt es Ergebnisse von Umfragen für den Juli und den August, die unzweideutig eine Fortsetzung des Absturzes belegen, der sich jederzeit zu einer ganz großen Krise ausweiten kann. 

Offensichtlich sind die Gegner, denen man bei einer gesamtwirtschaftlichen Rettungstat gegenübersteht, zu groß, als dass sich kleine deutsche Wirtschaftspolitiker mit ihnen anlegen würden. Da ist einerseits die EZB, die mit unglaublich schwachen Argumenten an einer Zinspolitik festhält, die einen Gegner namens „Inflation“ bekämpft, den es nie gegeben hat (wie u. a. hier gezeigt). Ebenfalls in dieser Woche musste die EZB selbst bekannt geben, dass sich der Anstieg der Tariflöhne im zweiten Quartal in der Eurozone weiter auf 3,5 Prozent (gegenüber dem Vorjahr) verlangsamt hat, was eindeutig zeigt, dass der Höhepunkt der temporären Lohnbeschleunigung überschritten ist. Damit ist das Thema Inflation endgültig erledigt.

Da ist zum anderen die Schuldenbremse im Grundgesetz, die offenbar dem deutschen Staat abverlangt, sich so lange unvernünftig zu verhalten, bis das Kind im Brunnen liegt. Weil die FDP sich in der libertären Wagenburg namens „Solidität der Staatsfinanzen“ verschanzt hat, fühlen sich auch die Sozialdemokraten und die Grünen nicht dazu in der Lage, ihr Gehirn für eine absolut zwingende Logik zu öffnen (wie hier gezeigt). Es ist ja nicht so, als ob SPD und Grüne wirklich wüssten, worum es geht und sich nur mit Rücksicht auf die Koalition zurückhalten. Nein, niemand in den beiden Parteien hat verstanden oder will verstehen, dass sich der deutsche Staat angesichts des Sparverhaltens von privaten Haushalten und Unternehmen (und des außenwirtschaftlichen Überschusses) jährlich in einer Dimension verschulden muss, die weit jenseits dessen liegt, was sich selbst die sogenannten Reformer in Sachen Schuldenbremse vorstellen können.

Wird Trump Präsident und geht er gegen die Merkantilisten in Berlin via schwachem Dollar oder offenem Protektionismus vor, ist das gesamt deutsche Wirtschaftsmodell über Nacht obsolet. Das würde enorme negative Folgen für die deutsche Industrie und nachfolgend für die gesamte Wirtschaft haben. Dann geht es nicht um 3000 Arbeitsplätze, sondern eher um 300 000 oder gar um 3 Millionen. 

Gegen all das wird man in Berlin einwenden, man könne doch nur die Instrumente einsetzen, die einer nationalen Regierung unter den gegebenen Umständen innerhalb der EWU zur Verfügung stehen. Das ist aus mindestens zwei Gründen falsch. Erstens, Deutschland kann selbst die Rahmenbedingungen in der EWU ändern, wenn es über den eigenen Schuldenschatten springt. Fast alle anderen Länder warten doch seit Jahrzehnten auf ein Deutschland, das über eine angemessene makroökonomische Analyse verfügt. 

Zweitens, die makroökonomischen Grundbedingungen stehen auf einem weit höheren Wirkungsniveau als die tausend Klein-Klein-Maßnahmen, die sich die Regierung regelmäßig ausdenkt. Bleiben die makroökonomischen Grundbedingungen auf Restriktionskurs, kann man sich jede andere Maßnahme sparen. Die notwendige Bedingung für eine Erholung der Wirtschaft ist die Umkehr bei den gesamtwirtschaftlichen Nachfrage- und Investitionsbedingungen. Auch tausend kleine Maßnahmen auf der Angebotsseite können deren negative Wirkung nicht überspielen.  

Wer das weiß, verkämpft sich erst gar nicht auf der Mikroebene, sondern adressiert das, worum es geht. Wer das nicht weiß, macht sich und seinen Wählern vor, er könne, wie Habeck es nannte, mit einer „transformativen Angebotspolitik in all ihren Facetten“ die Rezession beenden und die Wirtschaft zurück auf einen „transformierten“ Wachstumspfad führen. Wirksame Wirtschaftspolitik besteht jedoch nicht aus „Wachstumspaketen“ oder behelmten Rettungstaten, die hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurden und der staunenden Öffentlichkeit vor die Füße geworfen werden. 

Wirksame Wirtschaftspolitik besteht vor allem aus einer klaren makroökonomischen Analyse und die Kommunikation mit allen Beteiligten auf der Basis einer solchen Analyse. Weil praktisch alle Akteure mit ihrem mikroökonomischen Vorverständnis der wirtschaftlichen Verhältnisse aufeinandertreffen, braucht es zwingend eine Regierung, die für Einsicht in die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge sorgt und auf diese Weise erst einmal eine rationale Diskussionsbasis für die Akteure, aber auch Verständnis durch Aufklärung bei der Bevölkerung schafft. Der letzte deutsche Minister, der das verstanden hatte, war Karl Schiller vor über 50 Jahren. Im heutigen Berlin gibt es offensichtlich niemanden, der dazu in der Lage wäre oder auch nur die Bedeutung der Makropolitik verstünde.

Gibt es in Europa in den nationalen Regierungen der großen Länder den dafür notwendigen Sachverstand nicht, könnte die EU-Kommission in Zusammenarbeit mit der EZB die Lücke teilweise schließen. Sind aber auch diese beiden Institutionen total überfordert, weil, wie seit vielen Jahren, an ihrer Spitze ökonomische Laien stehen, ist es kein Wunder, dass die Bevölkerung sich von den erfolglosen tradierten Parteien abwendet und die europäische Zusammenarbeit zunehmend in Frage stellt. 

Wer Symbolpolitik mit Helm betreibt, macht es sich zu einfach. Wer ernst genommen werden will, sollte schleunigst den Helm absetzen und den Verstand einschalten.