Die sogenannte österreichische Schule der Volkswirtschaftslehre – und ihre dünnen Inhalte

Immer wieder hört man, jemand sei Anhänger der österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre und das klingt irgendwie geheimnisvoll. Es klingt in den Ohren vieler so, als gäbe es neben der neoklassischen und der keynesianischen Lehre noch eine kleine, aber feine Ökonomik, die ganz besondere Einsichten hat. Insbesondere die Liberalen und die Libertären (also die Radikalliberalen) berufen sich fast immer auf diese Schule und verbreiten den Eindruck, das, was die österreichische Schule wisse, sei in der üblicherweise vertretenen Neoklassik nicht verbreitet, von den anderen wie den Keynesianern ganz zu schweigen.

Aufschwung bekommt diese Weltsicht durch den argentinischen Präsidenten Javier Milei, der sich offen und stolz dazu bekennt, aber auch durch Libertäre wie Elon Musk, die immerhin darauf verweisen können, dass hinter ihren libertären betriebswirtschaftlichen Vorurteilen eine ausgewachsene Wissenschaft stehe. Die Namen, die mit der österreichischen Schule verbunden werden, sind vor allem Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek. Schumpeter, der auch Österreicher war, gehört nicht dazu.

Was also ist diese ominöse österreichische Schule? Gerade hat mir eine Leserin einen Link zu einem Video (hier zu finden) geschickt, wo ein deutscher Wissenschaftler, der offensichtlich in Spanien lehrt, genau das zu erklären versucht. Bitte schauen Sie es an, es sind nur wenige Minuten, die etwa bei Minute 8.30 beginnen. 

Das Ergebnis ist furchtbar simpel und lässt sich in einem Satz zusammenfassen: Der Staat kann die Produktion und die Verteilung der Güter und Dienstleistungen nicht so gut gewährleisten wie der Markt, weil er nicht das Wissen hat, das die riesige Menge der Teilnehmer an privaten Märkten haben kann. Es läuft alles auf das bisschen an Erkenntnis hinaus, das Hayek hochtrabend die „Theorie komplexer Phänomene“ nannte. Der komplexe Markt ist bei allen mikroökonomischen Aktionen dem weit weniger komplexen Staat überlegen, Sozialismus funktioniert deswegen relativ schlecht. 

Das kann ich sofort unterschreiben, aber was ist damit gewonnen? Das sind Argumente aus einer Debatte, die vor 75 Jahren von Bedeutung war. Heute interessiert das keinen ernsthaften Menschen mehr. Die „Österreicher“ blenden alle makroökonomischen Probleme, die im Rahmen der Marktwirtschaft seit fast einhundert Jahren aufgetreten sind und intensiv diskutiert werden, einfach aus; sie sprechen schlicht nicht darüber und tun damit so, als gäbe es sie nicht. 

Was ist mit Sparen und Investieren bzw. Verschulden? Die Neoklassiker haben wenigstens versucht, für dieses größte aller Probleme eine Lösung zu finden, die österreichische Schule ignoriert es einfach. Was ist mit der Inflation? Es gibt nun mal keine mikroökonomische Erklärung und die Libertären haben sich kurzerhand dem Monetarismus an den Hals geworfen. Will man das heute noch ernsthaft als Lösung verkaufen? 

Was ist mit den sogenannten Arbeitsmärkten? Glaubt man an das neoklassische Gleichgewicht oder nicht? Wenn nein, müsste man ja mal kundtun, wie sich diese Schule die Funktionsweise der „Arbeitsmärkte“ vorstellt. Wie ich in meinem Grundlagenbuch gezeigt habe, muss man nämlich bei der neoklassischen „Lösung“ annehmen, dass es gerade keine komplexe Informationsverarbeitung auf Seiten der Unternehmen gibt. 

Was ist mit dem internationalen Handel? Glaubt man an das Märchen von den komparativen Vorteilen, das jeder marktwirtschaftliche Logik Hohn spricht? Was ist mit den Kapitalmärkten, wo (wie ebenfalls in aller Ausführlichkeit in dem oben erwähnten Buch erklärt) genau das Gegenteil einer komplexen Informationsverarbeitung die Regel ist? Kritisieren die „Österreicher“ die Kapitalmärkte und die Spekulation, wie es Hayek in den 193er Jahren getan hat oder nicht?

Wer zu all diesen Fragen nichts sagt oder nichts weiß, sollte einfach nicht ernstgenommen werden. Wer nur einen winzigen Ausschnitt der Fragen abdeckt, um die es heute in allen Ländern der Welt geht, darf nicht als fachlich kompetente Person für Fragen der Ökonomik betrachtet werden. 

Javier Milei hat in einem Interview einmal gesagt, er könne sich mit seinem wirtschaftspolitischen Konzept nicht irren, weil er ja nur die Lehrbücher anwende. Da wird er aber staunen. Die libertären Lehrbücher sind ohne jede Antwort, weil sie die entscheidenden Fragen für die Wirtschafts- und Finanzpolitik nicht einmal stellen. Die neoklassischen Lehrbücher hingegen geben jede Menge falsche Antworten. Wen wird er fragen, wenn er das einmal gemerkt hat?