Viel schneller, als man es hätte erwarten können, hat sich die SPD gegenüber der CDU durchgesetzt und dafür gesorgt, dass vernünftige Wirtschaftspolitik gemacht wird. Toll! So werden und wollen es die „fortschrittlichen Kräfte“ in Deutschland lesen. Doch das ist ein gewaltiger Irrtum, der größte Irrtum überhaupt.
Die Schuldenorgie der neuen Koalition ist das beste Beispiel dafür, dass man das Richtige im Sinn haben kann und dennoch genau das Falsche erreicht. Die Mehrheit der Bevölkerung wollte keine neuen Schulden. Mehr als 50 Prozent der Wähler waren eindeutig dagegen. Und dennoch werden jetzt Schulden auf Teufel komm raus gemacht, ohne dass es auch nur einen spärlichen Versuch gäbe, dem Wahlvolk zu erklären, was es mit den Schulden auf sich hat. Besser noch, man lässt vermutlich den alten Bundestag abstimmen, also die Mehrheit, die es gar nicht mehr gibt plus einer CDU, die null Legitimation hat, weil sie vor der Wahl strikt gegen neue Schulden und die Aufweichung der Schuldenbremse war. Die AfD kann gar nicht laut genug jubeln.
In der Not muss man Schulden machen, ist doch klar – oder? Nein, man muss immer Schulden machen, weil es sonst keine Ersparnisse gibt. Das ist das, worum es geht und das zu sagen ist ein gewaltiger Unterschied zur gegenwärtigen Panikmache. Wieder einmal wird den Menschen etwas aufgebunden, was sie nicht verstehen können.
„Der Verrat“, schreibt der wirtschaftspolitisch ahnungslose Ulf Poschardt in der WELT. Die Union sei für einen Politikwechsel gewählt worden. Stattdessen komme es nun zu einer verantwortungslosen „Schulden-Kernfusion zweier etatistischer Parteien“. Wörtlich weiter: „Friedrich Merz ist auf ganzer Linie eingeknickt: Willkommen in der Lira-Welt!“
Das wird das Lied sein, das von ganz rechts in immer wieder neuen Varianten angestimmt wird. Da der „finanzpolitischen Zügellosigkeit“ (Ulrich Schäfer in der SZ) in Deutschland ohne Zweifel eine europäische „Zügellosigkeit“ auf dem Fuße folgen wird, hat man den nationalistischen Kreisen so viel Futter vor die Füße geworfen, dass sie damit leicht vier Jahre über die Runden kommen. Hinzu kommt, dass es eine völlig offene Frage ist, was die scheinbar gigantischen Zahlen in Wirklichkeit für die wirtschaftliche Entwicklung bedeuten (wie hier von Jens Berger gezeigt).
Und auch die Begründung mit der Not spielt nur denen in die Hände, die, wie viele Menschen in Ostdeutschland, die ganze Erzählung des Ukraine-Konflikts nicht unwidersprochen mitmachen wollen. Denn um welche Not geht es eigentlich? Entsteht in Europa Not, weil ein amerikanischer Präsident (und sein Vizepräsident, der, welch ein Wunder, in Europa über Meinungsfreiheit redet) die europäische Geschichte vom bösen Russen nicht kaufen will, weil er weiß, in welcher Weise sein eigener Vorgänger das Bild des bösen Russen miterschaffen hat?
Entsteht Not in Europa, wenn der amerikanische Präsident Verständnis dafür äußert, dass man Russland belogen hat, als man nach dem Fall der Mauer der russischen Regierung versprach, die NATO nicht nach Osten expandieren zu lassen (I can understand that)? Vergrößert sich die europäische Not, wenn der amerikanische Präsident der Überzeugung aller vernünftigen Menschen ist, dass nämlich der Krieg für die Ukraine längst verloren ist (wie etwa hier von einem der wenigen rational argumentierendem deutschen Beobachter, dem früheren NATO-General Harald Kujat erklärt wird) und nur ein schneller Frieden noch mehr Gebietsverlust und noch viel mehr Tote verhindern kann? Wo ist die Not, wenn der amerikanische Präsident den ukrainischen davor warnt, mit dem dritten Weltkrieg zu spielen, weil der nicht begreift, dass der Krieg mit einer Atommacht auf keinen Fall eskalieren darf? Schafft es europäische Not, wenn dieser Präsident gar über Abrüstung mit Russland reden will?
Nein, es gibt keine Not, es gibt nur die Verzweiflung derer, die sich seit 2022, angeführt von den amerikanischen Neocons unter Joe Biden, total verrannt haben, keine andere Meinung gelten lassen wollten und nun aus unerwarteter Ecke das hören, was sie selbst auf den Index gesetzt hatten. Die schlagen jetzt wild um sich, und münzen die Geschichte, die nie gestimmt hat, um in eine neue Geschichte vom bösen Russen, der in Zukunft den Westen überfallen wird. Auch das ist Unsinn. Man muss sich ja nur vor Augen führen, wie unkritisch diese Europäer die ebenfalls von den Neocons erfundenen Geschichte einer Rivalität mit China gekauft haben, um zu sehen, dass man es hier mit kollektiven Wahnvorstellungen überforderter Teilzeitpolitiker und nicht mit rationalen Urteilen erfahrener Diplomaten zu tun hat.
Staatliche Schulden sind, ich habe es hunderte Male gesagt, unvermeidlich in der modernen Wirtschaft. Die Begründungen dafür begreift jedes Kind, wenn man ihm die Möglichkeit gibt, zehn Minuten aufmerksam zuzuhören. Jetzt mit wilden Thesen, ohne Vorbereitung und ohne jede rationale Argumentation die Bürger mit einer Schuldengeschichte zu überziehen, die vorne und hinten nicht stimmt, gibt nur den Kräften Auftrieb, die schon immer wussten, dass die da oben sich einen Dreck um das scheren, was der normale Bürger will. Demokratie ohne Rationalität ist das Einfallstor für Faschismus. Wer nicht mehr vernünftig begründen kann, warum er was tut, lädt all diejenigen ein, die von vorneherein sagen, dass nicht Rationalität, sondern die Existenz schierer Macht die Macht legitimiert.