Seit ziemlich genau 50 Jahren verfolge ich Monat für Monat die Veröffentlichung der Zahl der Arbeitslosen und der offenen Stellen durch die Bundes Agentur für Arbeit. So auch heute. In diesen fünf Jahrzehnten ist es dem deutschen Wirtschaftsjournalismus nicht gelungen, das Konzept der Saisonbereinigung zu verstehen, anzuwenden und seinen Lesern nahezubringen. Gratulation! Das ist der intellektuelle Offenbarungseid einer ganzen Berufsgruppe.
Als junger Volkswirt habe ich mich schon in den 1970er Jahren in vielen Veröffentlichungen bemüht, den Fokus auf die saisonbereinigten Zahlen zu lenken. Wenn man mir damals gesagt hätte, dass diese Bemühungen bis zum Jahr 2025 nicht fruchten werden, ich hätte vermutlich den Beruf gewechselt.
„Zahl der Arbeitslosen sinkt im März nur leicht“ titelt das Handelsblatt heute. Auch die Welt schreibt: Zahl der Arbeitslosen in Deutschland sinkt nur leicht. Richtig muss es heißen: „Die Zahl der Arbeitslosen steigt im März überaus stark, wenn man, was natürlich selbstverständlich ist, außer Acht lässt, dass es im März wärmer war als im Februar“. Die FAZ schreibt, die Arbeitslosenzahl sei stabil und die Bundesagentur in Person von Frau Nahles sehe keine schnelle Besserung für den Arbeitsmarkt. Das ist eine glatte Lüge angesichts der Tatsache, dass im Monat März die Zahl der Arbeitslosen um über 25 000 auf fast drei Millionen gestiegen ist (saisonbereinigt!) und die Zahl der offenen Stellen um weitere 3000 auf nunmehr nur noch 650 000 gesunken ist (auch saisonbereinigt). Wieso plappern Journalisten es nach, wenn die Chefin der Bundesagentur sagt, sie sehe keine schnelle Besserung? Die Lage am Arbeitsmarkt hat sich erheblich verschlechtert, alles andere ist Augenwischerei – aber das scheint ja die Lieblingsbeschäftigung vieler Medien zu sein.
Das Verhältnis von drei Millionen Arbeitslosen zu 650 000 offenen Stellen zeigt auch in aller Deutlichkeit, dass weder Fachkräftemangel ein ernstzunehmendes Thema ist noch die Forderung der CDU nach aktiver Beschäftigungssuche der Bürgergeldempfänger. Wer glaubt, man könne mit der Forderung, „jede arbeitslose Person habe sich aktiv um Beschäftigung zu bemühen“(so laut FR ein Koalitionspapier) und mit den entsprechenden Sanktionen den Staat und die Lage am Arbeitsmarkt entlasten, ist ein Illusionist. Sollen die Arbeitslosen gleich auch noch die Arbeitsplätze schaffen, um die sie sich dann bemühen?
Die Entwicklung am Arbeitsmarkt zeigt überdeutlich, dass sich die deutsche Wirtschaft sich in einer konjunkturellen Talsohle befindet, die noch lange nicht durchschritten ist. Doch wie soll die nächste Regierung kapieren, dass es jetzt nicht auf irgendwelche „strukturellen Reformen“ ankommt, sondern darauf, durch Nachfragestimulierung die Kapazitätsauslastung der Betriebe zu erhöhen, um eine weiteres Ansteigen der Arbeitslosigkeit zu verhindern, wenn der deutsche Journalismus auf dem Stand von vor 50 Jahren verharrt.