Handel als friedlicher Austausch oder als Boxkampf?

Ein Leser weist mich auf eine Aussage im Presseclub der ARD hin. Dort versteigt sich der Spiegel-Journalist Michael Sauga zu einer wunderbaren Suada über den internationalen Handel. Hier die Stelle, um die es geht.

Jetzt wissen wir es endlich: Der internationale Handel war ein friedlicher Austausch, der ganz harmonisch ablief, bis Herr Trump kam und ihn zu einem Boxkampf machte. Wenn man das macht, so Sauga, beschädigt man den friedensstiftenden Charakter von Austausch. Das ist mehr als toll, das ist schon tollkühn oder tolldreist, je nachdem, wie man es sehen will!

Der Wettbewerb der Nationen, der Standortwettbewerb, der Wettkampf der Nationen, der schon Länder in den Ruin trieb, der unzählige Krisen verursacht hat, der für die Menschen in den betroffenen Ländern Armut, Verzweiflung und Hunger bedeutete, ist im Auge des Spiegelmenschen ein friedlicher Austausch, der offenbar nie mit irgendwelchen Härten verbunden ist. 

Die Tatsache, dass Europa seit der Jahrhundertwende nichts anderes im Sinn hat, als seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, ging in den Augen des friedliebenden Spiegelmenschen natürlich nicht zu Lasten anderer Nationen, weil der eine seine Wettbewerbsfähigkeit verbessern kann und der andere genauso, wenn man, wie beim Spiegelmenschen offenbar vorgesehen, das Hirn vollständig ausschaltet und allein das Herz sprechen lässt.  

Natürlich geht es in dieser wunderbaren friedliebenden Welt nicht um Vorteile, die der eine zulasten des anderen erzielt, es geht auch niemals um Überschüsse, die notwendigerweise Defizite nach sich ziehen. Auch Defizite sind vollkommen in Ordnung, was man leicht daran erkennen kann, dass selbst Deutschland einmal (!) in den vergangenen 75 Jahren (im Jahr 1980) ein Defizit in seiner Leistungsbilanz aufwies. Die Tatsache, dass damals die gesamte deutsche Politik nahezu durchdrehte, hatte sicher nichts mit dem Defizit in der Leistungsbilanz zu tun, sondern nur mit dem Versuch, den friedliebenden Charakter des Außenhandels zu betonen. 

Auch die Tatsache, dass sich in den 1980er Jahren auf Druck der amerikanischen Regierung die größten sieben Länder der Welt zusammentaten, um für eine Abwertung des US-Dollars zu sorgen, die das Defizit in der amerikanischen Leistungsbilanz verschwinden ließ, hatte sicher nichts mit einem Konflikt zu tun, sondern nur mit friedlichem Austausch.

Auch die Kleinigkeit, dass amerikanische Regierungen auch danach immer wieder beklagten, das Deutschland, China und Japan die USA systematisch dadurch ausnutzen, dass sie permanent Überschüsse im Außenhandel anstreben und den Amerikanern die Defizite überlassen, ist am Spiegelmenschen glatt vorbeigegangen. Als ich 1999 Staatssekretär im Bundesfinanzministerium wurde, kam der erste Anruf von meinem amerikanischen Kollegen Larry Summers, der vor allem den Wunsch hatte, mit der neuen deutschen Regierung über eine internationale Arbeitsteilung zu reden, in der die Amerikaner nicht die ganze Last der Ankurbelung der Weltkonjunktur tragen müssten. Er war mehr als erstaunt, dass ich zustimmte und sagte, es habe seit 20 Jahren niemanden in Europa gegeben, mit dem man darüber ernsthaft hätte reden können. Als ich jedoch versuchte, das auch in Deutschland zu vermitteln, wurde ich – ganz vorneweg vom Spiegel – als Vaterlandsverräter behandelt. 

Aber die Agenda-Politik, die nichts anderes im Sinn hatte, als mit deutschem Lohndumping die europäischen Partner über den Tisch zu ziehen, das war großartig. Gegen die deutschen Überschüsse, die darauf folgten, konnten die Nachbarn sich ja nicht mehr durch Abwertungen der eigenen Währung wehren. 

Genau deswegen wurden aber, was dem Spiegelmenschen bei seiner Suche (vielleicht auch Sucht?) nach Harmonie leider wieder entgangen ist, von allen europäischen Regierungen sanktionsbewehrte juristische Verfahren beschlossen, die gegen solche Länder zur Anwendung kommen sollen, die permanent hohe Überschüsse im Außenhandel aufweisen. Warum nur? Es geht doch um friedlichen Austausch. Niemand soll einen Vorteil haben, alle sollen profitieren und natürlich ganz besonders derjenige, der – wegen seiner Tüchtigkeit natürlich – dauernd Überschüsse erzielt. Wenn der „Tüchtigste“ dann auch noch der Mächtigste ist, kann er den anderen leicht „erklären“, dass es zwar Regeln gibt, die aber besser nicht angewendet werden, weil sonst der Mächtigste die Boxhandschuhe anzieht. 

Und nun kommt Trump und versucht, die Deutschen aus ihrer friedlichen Handelswelt zu reißen. Ja, es ist Zeit aufzuwachen! Wer jahrzehntelang wild um sich boxt, muss sich nicht wundern, wenn einmal ein besonders großer Kerl auftaucht, der nicht nur mit boxen will, sondern es auch besonders gut kann.