Jeffrey Sachs: Der gleiche Fehler wie bei den anderen Neoklassikern

(Dieser Artikel ist heute bei Overton erschienen)

Jeffrey Sachs sagt: „Das Handelsdefizit eines Landes (genauer gesagt, sein Leistungsbilanzdefizit) ist kein Hinweis auf unfaire Handelspraktiken der Überschussländer. Es deutet auf etwas ganz Anderes hin. Ein Leistungsbilanzdefizit bedeutet, dass das Defizitland mehr ausgibt als es produziert. Das heißt, es spart weniger als es investiert.“

Ja, so ist es. Ein Leistungsbilanzdefizit ist ein Leistungsbilanzdefizit, weil es ein Leistungsbilanzdefizit ist. Eine Definition ist leider keine Erklärung. Definitionsgemäß kann kein Land mehr ausgeben als es einnimmt, ohne ein Leistungsbilanzdefizit zu haben. Kein Land kann weniger ausgeben als es einnimmt, ohne einen Überschuss zu haben. Ein Land (die USA) lebt über seinen Verhältnissen, ein anderes (Deutschland) darunter. Immer noch wissen wir absolut nichts.

Wenn der Wille eines Landes, ordentlich zu sparen, zu Leistungsbilanzüberschüssen führen würde, könnten doch alle Länder Leistungsbilanzüberschüsse haben – oder? Komischerweise ist das unmöglich. Alle Länder können sparen wie verrückt, aber sie können nicht alle Leistungsbilanzüberschüsse haben. Der Leistungsbilanzüberschuss der Welt ist exakt null. Daraus folgt mit zwingender Logik: Mit dem Sparen kann man keinen einzigen Leistungsbilanzsaldo erklären (wie zuletzt hier erklärt).

Was die neoklassischen Ökonomen wohl niemals begreifen: Der Versuch der Erklärung von Leistungsbilanzsalden mit Spar- und Investitionsentscheidungen ist von vorneherein verfehlt (wie in meinem Grundlagenbuch in aller Ausführlichkeit gezeigt), weil die Leistungsbilanzsalden der Welt ein Nullsummenphänomen sind (der Leistungsbilanzsaldo der Welt ist immer exakt gleich null). Nullsummenphänomene aber kann man logischerweise nur mit Nullsummenfaktoren erklären. Was heißt, dass die Veränderung der Faktoren, die Leistungsbilanzsalden erklären können, auf der ganzen Welt ebenfalls null sein muss. Nullsummenfaktoren sind reale Wechselkurse (also die Veränderung der Wettbewerbsfähigkeit), die Terms of Trade oder Wachstumsdifferenzen zwischen den Ländern.

UNCTAD hat 2008 in einer großen empirischen Untersuchung der Ursachen der Veränderung von Leistungsbilanzsalden genau das herausgefunden. Reale Wechselkurse und die Veränderungen von Terms of Trade, also der Austauschrelationen, sind die entscheidenden Determinanten von Änderungen der Leistungsbilanzsalden. Folglich liegt die amerikanische Administration unter Donald Trump vollkommen richtig mit ihrem Ansatz, denn Zölle verändern die Austauschrelationen. Eine Abwertung des US-Dollar um 20 oder 30 Prozent, die mit einer deutlichen realen Abwertung einhergegangen wäre, hätte das Problem allerdings weit eleganter lösen können. 

Es ist übrigens eine gute Idee, den USA einen Freihandelsvertrag mit Nullzöllen vorzuschlagen, wie das die EU-Kommission in Erwägung gezogen und auch Elon Musk erwähnt hat. Trump wird den sicher annehmen, wenn man das tut, was dabei selbstverständlich ist, aber von der EU-Kommission natürlich übersehen wird. Der erste Paragraph dieses Vertrages muss in etwa so lauten: Die Partner dieses Vertrages verpflichten sich, keinerlei Überschüsse im Handel untereinander anzustreben und sorgen dafür, dass die bestehenden Überschüsse innerhalb eines Jahres vollständig abgebaut werden.

Über Nullzölle zu reden, ohne die deutschen und europäischen Überschüsse zu erwähnen, ist schwachsinnig. Auch die Versuche, den Amerikanern mit europäischen Gegenmaßnahmen Angst zu machen, wie das der immer noch amtierende Wirtschaftsminister tut, sind mehr als lächerlich. Bei einer Zolleskalation gewinnt immer das Defizitland, also die USA. Verlieren wird mit Sicherheit das Land mit dem größten Überschuss, nämlich Deutschland. Doch die deutschen und die europäischen Politiker haben sich, wie schon einige Male in den letzten Jahren, total verrannt und sind unfähig, ihre Fehlentscheidung auch nur zuzugeben, von korrigieren gar nicht zu reden. Schlafwandler der ganz besonderen Art!