(Dieser Artikel ist heute im „Freitag“ erschienen)
Man glaubt es nicht, aber es ist wahr. Ich war nämlich dabei. Als junger Beamter im Bundeswirtschaftsministerium in Bonn musste ich mitansehen, wie das Undenkbare geschah. Das Wirtschaftswunderland Westdeutschland rutschte im Jahr 1980 tatsächlich in ein Leistungsbilanzdefizit. Allen guten Konservativen war sofort klar, dass es so kommen musste. Die schrecklichen Sozies, denen eine noch nicht befreite FDP zur Seite stand, hatten die deutsche Wirtschaft so weit heruntergewirtschaftet, dass selbst das Undenkbare eintreten konnte.
Das Land war im Schockzustand. Der Bundeskanzler namens Helmut Schmidt, man erinnert sich heute kaum noch an ihn, war umgefallen. Er hatte bei den ersten internationalen Treffen, die es in den 1970er Jahren gab, um die Industrieländer zu einem koordinierten Handeln im Lichte der großen Ölpreiskrisen zu bewegen, zugestanden, dass nicht nur die USA, sondern auch Deutschland und Europa die Aufgabe hätten, für eine Belebung der Weltkonjunktur zu sorgen. Der amerikanischen Lokomotive der Weltwirtschaft war die Kohle ausgegangen (sie hatten ein Leistungsbilanzdefizit!) und ohne Lokomotive ging es nun mal nicht.
Woraufhin die Bundesregierung allen Ernstes versuchte, mit fiskalischen Programmen, also mit zusätzlichen Schulden, die deutsche und die europäische Wirtschaft anzuregen. Das gelang zwar kaum, weil gleichzeitig die gute Deutsche Bundesbank mit beiden Füßen auf der Bremse stand, um diesem sozialistischen Wahnsinn den Garaus zu machen, aber für ein einmaliges Leistungsbilanzdefizit reichte es, zumal die D-Mark auch noch ordentlich aufwertete.
Ich arbeitete damals im Referat für Grundsatzfragen des Wirtschaftsministeriums und so schickte mich mein Chef eines Abends zu einem Vortrag in die Godesberger Redoute, wo ein gewisser Theo Waigel eingeladen war, ein Grundsatzreferat zur wirtschaftlichen Lage Deutschlands zu halten. Der Mann war wirtschaftspolitscher Sprecher der CDU/CSU-Fraktion und hatte nur ein Thema: Das erste deutsche Leistungsbilanzdefizit, der Vorhof zur Hölle und der unmittelbare Weg in den Untergang. Ich kann mich zwar nicht mehr an Details erinnern, aber ich weiß, dass ich aus diesem Vortrag rausgegangen bin und dachte, entweder du bist mit deinen 30 Jahren einfach noch ein Dummkopf oder dieser Waigel, von dem jeder sagte, dass er in der Bonner Republik noch Großes werden könnte, hat den unsinnigsten Vortrag aller Zeiten gehalten.
Ein paar Überlegungen später wusste ich, dass Letzteres zutreffend war und schrieb sofort einen Artikel mit dem Titel „Das Leistungsbilanzrätsel“, in dem ich zeigen konnte, dass der (extrem leichte) Umschwung in der Leistungsbilanz vor allem der Aufwertung der D-Mark zuzuschreiben und völlig harmlos war. Aber der Wirtschaftsexperte Waigel reüssierte. 1989 wurde er dann schließlich Bundesfinanzminister. Da war die geistig moralische Wende von Helmut Kohl eigentlich schon in jeder Hinsicht am Ende und kriegte nur die Kurve, weil die Ostdeutschen sich entschlossen, den beiden ausgewiesenen Wirtschaftsexperten Kohl und Waigel ihr Land anzuvertrauen.
Warum also stellt sich dieser Trump so dumm an? Wir wissen doch, dass Leistungsbilanzdefizite gar nicht so schlimm sind, sie zeigen nur, dass die internationale Arbeitsteilung funktioniert und die meisten Güter da hergestellt werden, wo die tüchtigsten Leute arbeiten. Das Defizit der Vereinigten Staaten (also Güter und Dienstleistungen zusammen) hat im vergangenen Jahr zwar den Wert von 1000 Milliarden US-Dollar überschritten (1,13 Billionen), aber das sind ja nur vier Prozent des amerikanischen BIP. Auch haben die Amerikaner schon 45 Jahre lang hohe Defizite, da könnten sie sich ja allmählich daran gewöhnt haben.
Deutschland ist nun mal eine geborene Überschussnation. Wir sind klug und stark, sind die besten Organisatoren der Welt und bauen Flughäfen und Bahnhöfe im Handumdrehen. Wir beglücken im wahrsten Sinne des Wortes den Rest der Welt mit unseren unschlagbaren Produkten. Wer uns Merkantilismus vorwirft, weiß nicht, wovon er redet. Merkantilisten haben zwar auch Leistungsbilanzüberschüsse, aber die sind unverdient. Unsere sind hart erarbeitet. Der wahre Merkantilist sitzt im Weißen Haus und versucht seinen Bürgern unsere Produkte madig zu machen, bloß weil er neidisch auf unsere Tüchtigkeit ist. Aber sollen die Amerikaner doch in ihren Schrottautos herumfahren, wir werden schon andere finden, die einsehen, dass nur ein Defizit in ihrer Leistungsbilanz zeigt, wie gut die internationale Ordnung funktioniert.