Der Spiegelmensch als Handelsversteher und Trumpkritiker

Es musste ja so kommen. Nachdem sich Spiegelmenschen schon mündlich mit dem bösen Handelsverderber Trump auseinandergesetzt haben und die Süddeutsche Zeitung die Beachtung von 200 Jahren Handelslehre anmahnte, durfte jetzt ein zweiter Spiegelmensch in einem „Essay“ den bösen Trump in Grund und Boden schreiben. Auch hier mussten wieder die 200 Jahre ökonomischer Weisheit herhalten, ebenso wie der arme David Ricardo, den man wohl nie verstehen wird. 

Hätte man beim Spiegel gelesen, was Trumps wichtigster Handelsberater in der Financial Times geschrieben hatte, man hätte ernsthaft argumentieren können. Aber wer will schon lesen und dann auch noch Englisch in der Financial Times, wo man als Spiegelmensch doch sowieso schon alles weiß. Bei Peter Navarro hätte man lernen können, dass es gar nicht um den Handel als solchen geht. Doch der Spiegel-Autor, der immerhin „studierter Ökonom“ ist, will offenbar nur auf Trump einprügeln und sich in seinem „Essay“ nicht mit ernsthaften Thesen auseinandersetzen. 

Es ist immer das gleiche Muster. Ich schreibe seit fünfzig Jahren über den internationalen Handel und selbstverständlich auch über die Salden – die Überschüsse und die Defizite – die es dabei häufig gibt. Immer habe ich betont, so wie das auch Navarro tut, dass David Ricardo und die anderen Freihändler bei ihren Ableitungen unterstellt haben, dass der Handel weitgehend saldenfrei bleibt, weil das internationale Währungssystem (damals der Goldstandard) dafür sorgt, dass Länder mit Defiziten ihre Währung abwerten und die Währungen von Ländern mit Überschüssen aufwerten, so dass die Salden nicht von Dauer sind. 

Da es einen solchen Mechanismus heute nicht gibt, gibt es auch keine klassische Handelstheorie, auf deren Basis man behaupten könnte, dass alle profitieren. Dann gibt es von vorneherein Gewinner und Verlierer, weil es sich bei den Salden um eine Nullsummenspiel handelt. Der Leistungsbilanzsaldo der Welt ist null. Wenn jemand einen Überschuss hat, muss ein anderer ein Defizit haben. Wenn jemand seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert, muss jemand anders an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Der mit der Verbesserung und dem Überschuss gewinnt Arbeitsplätze und Einkommen, der mit der Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit und dem Defizit verliert. 

Hat Deutschland nicht die Agenda-Politik von Rot-Grün in den Himmel gehoben? War es nicht genau die Politik, die mit dem Anschwellen des deutschen Überschusses zu tun hatte, weil Deutschland in der Währungsunion real abwertete, aber nicht mehr isoliert aufwerten konnte? Ist nicht auch in dieser Koalition die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit das allergrößte Mantra? Wie dumm muss man sein, wenn man mit aller Macht die Verbesserung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit anstrebt und gleichzeitig glaubt, die Verlierer würden auf alle Ewigkeit die Klappe halten und die „deutschen Erfolge“ bewundern?

Doch die deutschen Ökonomen und ihre Schreiberlinge ficht das nicht an. In den fünfzig Jahren meines Anschreibens gegen die Handelsnaivlinge habe ich gefühlt hundert Mal eine Antwort des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel bekommen mit immer der gleichen Phrase: Der internationale Handel ist kein Nullsummenspiel. Das hat allerdings auch niemand behauptet. Es ging und geht immer nur um den Saldo. So ist es jetzt mit Trump. Der sagt, das amerikanische Außenhandelsdefizit ist unerträglich und die Freihandelsideologen aller Länder dieser Erde antworten wie im Chor: Der Trump ist ein Dummkopf, beim internationalen Handel profitieren nämlich alle. Bravo, diese Art von Idiotenantwort macht Freunde auf der Welt.

Neuerdings hat an sich in den neoklassischen Zirkeln eine wunderbare Erklärung für die Salden ausgedacht, die natürlich auch im Spiegel auftaucht. Der eine will einfach Defizite und der andere will Überschüsse. Der eine ist der geborene Konsument, der andere der geborene Produzent. Weil Deutschland in den 2000er Jahren einfach mal Überschüsse wollte, hat es sie auch bekommen. Aber das ist so lächerlich, dass es sich nicht lohnt, das noch einmal zu erklären. Hier kann man es nachlesen. 

Es ist beim Handel wie in vielen anderen Fällen auch: Wann immer es schwierig und unangenehm wird, neigt man besonders in Deutschland dazu, sich eine Argumentationswelt zu basteln, die zwar nichts mit dem grundlegenden Problem zu tun hat, die aber eine so breite Unterstützung in den Medien und in der Politik findet, dass jeder, der etwas anders behauptet, sofort als „Ketzer“, „Schwurbler“ oder gar „Leugner“ in die Ecke gestellt und niemals mehr hervorgeholt wird. Das gab es zwar immer schon, aber die Reihen der „Guten und der Rechthaber“ werden von Mal zu Mal fester geschlossen. Doch Vorsicht! Wie bei manchen natürlichen Phänomenen gibt es auch hier einen Kipppunkt, ab dem die Gesellschaft auf eine schiefe Ebene gerät und vor dem vollständigen Verlust der Diskussionsfähigkeit nicht mehr zu halten ist. Den Endpunkt nennt man dann Faschismus. 

Übrigens, auch die schöne Geschichte, die im Spiegel erzählt wird, wonach selbst die Schwachen beim internationalen Handel eine Chance haben, weil es ja nicht auf die absoluten Vorteile, sondern nur auf die sogenannten komparativen Vorteile ankomme, ist falsch. Das ist aber eine andere Geschichte. Dazu kann man auch einmal ein gutes Buch lesen.