Dieser Artikel ist in der Ausgabe 17/24 im „Freitag“ erschienen (ich veröffentliche ihn heute aus gegebenem Anlass, siehe letzter Satz)
In seinem Jahresbericht für das Jahr 2023 war Robert Habeck noch sehr optimistisch. Weil die Auftragsbücher der deutschen Unternehmen „prall gefüllt seien“, so der Minister zu Anfang des Jahres 2023, würden die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen 2023 immerhin um 3,5 Prozent zulegen. Tatsächlich waren es 3 Prozent. Ein Jahr später erwartet der gleiche Minister für 2024 nur noch 0,5 Prozent Investitionszunahme und die vor einigen Wochen veröffentlichte Prognose der Forschungsinstitute kommt gar nur noch auf ein Minus von 1,8 Prozent für dieses Jahr. Die prall gefüllten Auftragsbücher gibt es offenbar nicht mehr.
Einfache Frage: Worum geht es, wenn innerhalb eines Jahres die Nachfrage der Unternehmen wegbricht und die Investitionstätigkeit genau deswegen in die Knie geht? Jeder vernünftige Mensch würde sagen, es gibt einen Mangel an Nachfrage, auf den die Unternehmen mit einer Rücknahme von Investitionsvorhaben reagieren. Doch so einfach macht sich die Bundesregierung die Sache nicht.
Deutschland brauche, ließ Harbeck in seinem Jahreswirtschaftsbericht für 2024 schreiben, eine neue Form der Angebotspolitik. Man benötige, so der Bundeswirtschaftsminister wörtlich „eine transformative Angebotspolitik in all ihren Facetten“. Klar, die Unternehmen haben zu wenig Nachfrage, was die Investitionstätigkeit und damit auch die Transformation massiv in Frage stellt, aber gelöst wird das Problem mit facettenreicher Angebotspolitik.
Offenbar glaubt der grüne Minister an die Geschichte vom Angebotsschock, wie sie von konservativen Ökonomen gerne am Lagefeuer erzählt wird. Demnach gab es einen Angebotsschock, der die Preise vieler Rohstoffe in die Höhe getrieben und die Zentralbank gezwungen hat, die Zinsen zu erhöhen. Weil es ein Angebotsschock war, muss man mit Angebotspolitik bekämpfen. Wie könnte es anders sein?
Auch hier hilft ein wenig Nachdenken weiter. Das Gemeine an einem solchen Angebotsschock sind nämlich seine Nachfrageeffekte. Weil die von der Preissteigerung für Rohstoffe Begünstigten in der Regel eine hohe Sparneigung haben, geben sie von den zusätzlichen Einnahmen weniger aus als wir es getan hätten, wenn die Preise nicht gestiegen wären. Das könnte man seit den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts wissen, als die Nachfrageeffekte eines solchen Angebotsschocks die Weltwirtschaft in die Rezession schickte und die Arbeitslosigkeit dramatisch anstieg.
Konservative Ökonomen und diejenigen, die ihnen zuhören, kennen natürlich das Mittel, mit dem die Weltwirtschaft einen solchen Schock von sich aus abpuffert. Wenn irgendwo mehr gespart wird, braucht man einfach eine Zinssenkung, die aus der zusätzlichen Ersparnis zusätzliche Investitionen macht. Das leuchtet ein. Eine Zinssenkung würde sicher helfen. Dumm ist nur, dass gerade die Notenbanken in all ihrer Weisheit die Zinsen kräftig angehoben haben, statt sie zu senken.
Das macht die Sache kompliziert. Wenn die Geldpolitik genau das Gegenteil dessen tut, was angemessen wäre, gibt es offenbar einen Nachfrageausfall, der noch weiter größer ist als er gewesen wäre, wenn es so gelaufen wäre, wie das die neoliberalen Ökonomen und ihre Minister erwarten. Wenn die Notenbank mit Gewalt einen Investitionseinbruch herbeiführt, fragt man sich, wie eine Regierung, die ausschließlich Angebotspolitik machen will, das verhindern soll.
Die ganz Klugen wissen, dass Nachfragepolitik besser wäre, aber wenn man kein Geld für Nachfragepolitik hat, muss man halt das machen, was möglich ist. Wer eine Schuldenbremse sein Eigen nennt, muss bremsen, auch wenn es steil bergauf geht. Nur die wirklich glaubenden Schuldenbremser freuen sich über eine quasi-göttliche Fügung: Deutschland und Europa haben kein Geld und brauchen auch keines, weil sie ja gar kein Nachfrageproblem haben.
Die weltgewandten Ökonomen fragen sich, wieso der große Bruder auf der anderen Seite des Atlantiks so erfolgreich ist und die europäische Wirtschaft nach dem Corona-Schock total abgehängt hat. Die Antwort ist einfach, aber nicht sehr beliebt in Europa: Im Musterland des Kapitalismus gibt der Staat das Geld mit vollen Händen aus und macht Schulden, als ob es kein Morgen gäbe. Selbst der Internationale Währungsfonds, der gerade seine Frühjahrtagung abhält und die USA selten kritisiert, fragt sich, ob das amerikanische Modell nachhaltig sein kann.
So ist es im Ergebnis einfach: Hier die Tugendhaften, deren Wirtschaft allerdings vor die Hunde geht, dort die Lasterhaften, deren Wirtschaft brummt und deren Arbeitsmarkt so leergefegt ist, dass zum ersten Mal seit langer Zeit auch die Löhne kräftig steigen. Haben die Amerikaner etwas begriffen, was uns verborgen geblieben ist? Vielleicht haben sie begriffen, dass eine Wirtschaft, die von der Notenbank massiv gebremst wird, am Ende mehr Schulden für den Staat bedeuten wird, weil der Staat eine einbrechende Wirtschaft irgendwann stabilisieren muss, mit oder ohne Schuldenbremse. Da ist es womöglich besser, man macht die Schulden, bevor die Wirtschaft einbricht, denn dann spart man sich die Rezession, die hohe Kosten für die Privaten und für den Staat mit sich bringt.
So etwas Kluges aber geht mit den europäischen Schuldenregeln gar nicht, weil die nur Ausnahmen erlauben, wenn eine Katastrophe schon eingetreten ist. Das ist so, als ob ein Bergsteiger das rettende Seil erst einsetzen darf, wenn er den Hang schon hinuntergestürzt ist. Auf manchen Gebieten gibt es kluge Menschen, die verstehen, dass es keinen Sinn macht, Regeln in die Welt zu setzen, die vorausschauendes Handeln glatt verbieten. Nicht so bei den Ökonomen. Die glauben einfach fest daran, dass der Markt die Wirtschaft auffangen wird, was immer auch geschieht. Ein Fall, wo ein Markt vollständig außer Kraft gesetzt wird, wie im Fall der Geldpolitik und der Zinsanhebung in einer Situation, wo man vom Markt eine Zinssenkung erwartet hätte, bringt sie nicht vom rechten Weg ab.
Da die Notenbanker zu den Guten gehören, denn sie sind ja unabhängig von den Niederungen der Politik, können sie in den Augen der Marktauguren einfach nichts falsch machen. Entsteht am Ende Arbeitslosigkeit und Armut, weil die Wirtschaft abstürzt, dann waren die Gewerkschaften schuld, die verhindert haben, dass der Lohn das tut, was er hätte tun müssen, nämlich sinken. Dass sinkende Löhne noch stärker sinkende Nachfrage bedeuten, das wiederum hat der fest an den Markt glaubende Ökonom noch nie gehört und verweist es einfach in das Reich des Unglaubens.
Klar, wer fest glaubt, kann mit Angebotspolitik eine Nachfrageschwäche heilen. Dass jedoch eine Regierung, die in Sachen Klima auf wissenschaftlicher Grundlage die Weichen für viele Jahrzehnte stellen will, in Sachen Wirtschaft über einfache Glaubenssätze nicht hinauskommt, ist mehr als befremdlich. Wer wirtschaftlich scheitert, scheitert auch beim Klima, weil er über kurz oder lang abgewählt wird.