Volkswirtschaftslehre oder Ökonomik ist eigentlich ein einfaches Fach. Das Dumme ist nur, dass die große Mehrzahl der Ökonomen und derer, die sich berufen fühlen, darüber zu schreiben, merkwürdig inkonsistent und inkonsequent sind. So bin ich immer wieder erstaunt, wenn in aktuellen Prognosen neoklassisch orientierter Ökonomen darauf gesetzt wird, dass eine sinkende Sparquote der privaten Haushalte die Konjunktur belebt. So schreibt der Sachverständigenrat in seinem gerade erschienenen Jahresgutachten 2024 (Ziffer 74, hier zu finden) den wunderbaren Satz:
„Die privaten Haushalte könnten in Reaktion auf die zu erwartenden Realeinkommenszuwächse ihre Konsumausgaben stärker ausweiten und so das Wachstum stärker anschieben als in dieser Prognose angenommen.“
Wieso ist das eigentlich so? Wieso wird das Wachstum angeschoben, wenn die privaten Haushalte ihre Konsumausgaben stärker ausweiten, als es den Realeinkommenszuwächsen entspricht, wenn sie also ihre Sparquote senken?
Haben wir nicht alle schon im Grundstudium gelernt, dass Sparen durchweg gut ist. Ist es nicht ein ehernes Gesetz der Neoklassik (der sich 99 Prozent aller deutschen Ökonomen und 99,99 Prozent der Sachverständigen verschrieben haben), dass ein mehr an Sparen immer auch ein mehr an Investitionen nach sich zieht (nach der berühmten Formel I = S)? Wissen wir nicht seit mindestens 150 Jahren, dass die Kapitalmärkte äußerst effizient sind und dafür sorgen, dass – via sinkende Zinsen natürlich – jede zusätzliche Ersparnis ihren Weg zu den Unternehmen findet und dort zu Investitionen führt?
Wenn aber steigende Sparquoten das Wachstum bremsen, wie der Rat meint, dann haben wir ein Problem. Ich frage mich natürlich, warum dieser Rat, dem offensichtlich zu seinem Gesetzesauftrag, nämlich gesamtwirtschaftliche Ökonomik zu betreiben, absolut nichts einfällt (wie hier angedeutet), sich nicht mit dieser wirklich extrem spannenden Frage seitenweise auseinandersetzt, statt lapidar das Gegenteil seiner eigenen theoretischen Überzeugung zu verbreiten.
Noch schöner kann man die offensichtliche Lücke zwischen Theorie und Praxis bei einem Artikel im Handelsblatterkennen, der sich mit der Frage beschäftigt, warum die Leute nicht endlich mit dem Sparen aufhören. Dort liest man:
„Hinter dem scheinbar geringen Anstieg (der Sparquote, HF) verbergen sich enorme Summen: Weil das verfügbare Einkommen in Deutschland 2023 bei insgesamt 3,38 Billionen Euro lag, entspricht ein Prozent davon rund 33,8 Milliarden Euro – viel Geld, das der Wirtschaft fehlt.
Die höhere Sparneigung erklärt sich zwar unter anderem mit den steigenden Zinsen – ist in diesem Ausmaß aber überraschend“, sagt Friederike Fourné, die am Ifo-Institut zum privaten Konsum forscht. Derzeit sind die Deutschen besonders zurückhaltend. Die Österreicher sparen neun Prozent ihres verfügbaren Einkommens, Amerikaner liegen bei unter fünf Prozent, die Italiener bei nur 0,3 Prozent.“
Das ist wirklich revolutionär! Geld, das die Haushalte sparen, fehlt den Unternehmen! Hat der Mann noch nie etwas von funktionierenden Kapitalmärkten gehört, von Banken, die als Intermediär zwischen Sparer und Kreditnehmer auftreten und von Zentralbanken, die Sorge dafür tragen, dass die Geld- und Kapitalmärkte funktionieren und so die Umwandlung von Ersparnissen in Investitionen jederzeit und auch friktionsfrei gelingt? Ich frage mich, ob das Handelsblatt dem Autor inzwischen schon gekündigt hat.
Aber auch die Konsumforscherin vom ifo-Institut hat nicht begriffen, dass es niemals gleichzeitig steigende Zinsen und höhere Ersparnisse geben kann. Das schließt sich aus, weil die Kapitalmärkte laut der Theorie, an die man als Mitarbeiter bei ifo glauben muss, effizient arbeiten.
Echt brutal wird es jedoch, wenn man die Handelsblatt-These noch ein wenig erweitert. Wenn schon ein Prozent Zuwachs bei der Sparquote 33 Milliarden an Nachfrageausfall bedeuten, ist es nach Adam Riese offensichtlich, dass der gesamten Sparquote von 10 Prozent des verfügbaren Einkommens eine Nachfrageausfall von 330 Milliarden entspricht. Das ist wirklich viel Geld – und das alles fehlt den Unternehmen. Wie kommt diese Riesensumme wieder zu den Unternehmen zurück? Die Unternehmen haben ja die Löhne und Gehälter zum größten Teil gezahlt, aus denen diese Ersparnisse gebildet wurden. Wenn diese gesamte Summe „der Wirtschaft fehlt“, dann haben wir nicht nur ein Problem, dann haben wir eine Katastrophe.
Logischerweise kann dieses Geld nur zurück zu den Unternehmen fließen, wenn jemand zur Bank geht, der auf Teufel komm raus Geld ausgeben will, das er gar nicht hat (dieser Satz stammt, Ehre, wem Ehre gebührt, von der Bild-Zeitung, die dereinst sagte, Italien wolle Geld ausgeben, das es gar nicht hat). Derjenige, der zur Bank geht, muss also das genaue Gegenteil von einem Sparer sein, nämlich ein Schuldner. Nur solche Wirtschaftsubjekte, die bereit sind, sich netto zu verschulden (also mehr Geld auszugeben als sie einnehmen), können die Katastrophe für die deutschen Unternehmen abwenden. Fragt sich nur noch, wer das sein könnte. Wüsste man es, wäre das verdammte Schuldenproblem vollständig gelöst – wie hier gezeigt.