(Dieser Artikel ist in dieser Woche in leicht veränderter Form im „Freitag“ erschienen)
Die Antwort auf die Titelfrage ist einfach: Nein, auf keinen Fall! Es sind ja nur zwei Konstellationen denkbar, unter denen eine stabile Regierung gebildet werden kann. Erstens, die verstaubte und gar nicht mehr große Koalition aus CDU und SPD und zweitens, die politisch noch immer tabuisierte, aber von der Sache her absolut naheliegende Koalition von CDU und AfD.
Nimmt man die Wahlprogramme der dabei beteiligten Parteien zu Hilfe, können beide Varianten das nicht leisten, was Deutschland am dringendsten braucht: Eine ernstzunehmende Diagnose der ökonomischen Lage und eine Therapie, die an die Diagnose anknüpft und sich nicht nur aus Vorurteilen speist. Die einfachste Kennzahl kennen alle. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt ist zwei Jahre hintereinander gefallen. Aber danach geht es bei den Politikern sofort auf die Mikroebene, wo man über die Probleme einzelner Unternehmen, über Bürokratieabbau oder schnellere Genehmigungsverfahren philosophiert. Wettbewerbsfähigkeit ist die höchste der gesamtwirtschaftlichen Überlegungen, die man sich leistet, aber auch die führt nicht weiter.
Groß muss man denken
Wer wirklich etwas ändern will, muss größer denken und er muss die Ursachen für Europa als Ganzes suchen. Warum investieren die Unternehmen nicht? Warum ist die Nachfrage der privaten Haushalte so schwach? Wieso schaffen es nur die USA, sich der weltweiten Wachstumsschwäche zu entziehen?
Nehmen wir die Investitionen. Wer über Investitionen redet, muss über die Zinsen reden. Nur die Zinsen, die von der EZB gesetzt werden, haben eine Wirkung, die groß genug ist, die Verhältnisse in der gesamten Volkswirtschaft zu ändern. Zinsen kommen aber in praktisch keinem Parteiprogramm vor, weil die Parteien diese zentrale Aufgabe der Zentralbank überlassen, denn die ist ja autonom. Aber nur, wenn der Staat weiß, was die Zentralbank macht und wie sie wirkt, kann er seine Instrumente so einsetzen, das vielleicht doch ein gesamtwirtschaftlich angemessenes Ergebnis herauskommt. Ist die Geldpolitik falsch, braucht man gar nicht darauf zu hoffen, mit Klein-Klein-Politik etwas zu erreichen.
Derzeit und auf absehbare Zeit ist die Politik der EZB falsch. Es gibt keine Inflationsgefahr mehr, aber die EZB wartet ab. Einer der besten Frühindikatoren für die allgemeine Inflationsentwicklung, die Erzeugerpreise in der Industrie sind bereits seit zwei Jahren absolut konstant, weisen also eine Zuwachsrate von null auf, wenn man die stark schwankenden Energiepreise herausrechnet. Die Abbildung zeigt, dass sich diese Erzeugerpreise (ohne Energie, die rote durchgezogene Linie) von Anfang 2023 bis November 2024 praktisch nicht bewegt haben. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Wettbewerbsdruck in ganz Europa und in Deutschland so hoch ist, dass es den Industrieunternehmen trotz zuletzt kräftig steigender Löhne schon seit fast zwei Jahren nicht mehr gelingt, die Preise anzuheben. Die Gewinne sind also deutlich gesunken.
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Da gleichzeitig in ganz Europa die Industrieproduktion und die Umsätze rückläufig sind (in anderen Ländern etwas weniger stark als in Deutschland, aber eindeutig rückläufig), sind die Renditeerwartungen der Unternehmen in diesem entscheidenden Bereich für den Durchschnitt der Volkswirtschaft eindeutig negativ. Bei Druck auf die Gewinne und einem absoluten Rückgang der Produktion in den Bereichen, von denen man sich vor allem eine höhere Produktivität und eine dynamische Investitionstätigkeit verspricht, führt ein Zins von deutlich über zwei Prozent von Seiten der Notenbank unweigerlich zu einer drastischen Reduktion der Investitionstätigkeit. Das erleben wir gerade.
Die Schuldenbremse muss weg
Hier kommt die übrige Wirtschaftspolitik ins Spiel. Das Einzige, was bei stagnierender oder gar sinkender Produktion und zu hohen Zinsen helfen könnte, wäre eine allgemeine Belebung der Nachfrage. Nur sie könnte die Renditeerwartungen in der ganzen Breite der Volkswirtschaft verbessern. Bürokratieabbau, Deregulierung und die Verringerung der staatlichen Aufwendungen für den Klimawandel bewirken im Zweifel genau das Gegenteil, können aber auf keinen Fall die Wirkung hoher Zinsen ausgleichen. Auch „strukturelle Maßnahmen“, welcher Art auch immer, sind niemals wirkungsvoll, wenn die Renditeerwartungen der Unternehmen insgesamt negativ sind. Die vielbeschworene Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit kann einem Land helfen, aber nur zulasten eines anderen und zulasten der eigenen Binnennachfrage.
Nur zusätzliche staatliche Ausgaben, die vollständig durch Neuverschuldung finanziert werden, können, wie in den USA seit einigen Jahren zu beobachten, einen Nettoeffekt haben, der groß genug ist, um eine Wirtschaft anzuschieben, die von der Geldpolitik gebremst wird. Alles andere ist Augenwischerei, Symbolpolitik und die Verschiebung von Geld von der einen Tasche in die andere. Nur solche Ausgaben, die nicht „gegenfinanziert“ werden (durch die Kürzung von staatlichen Ausgaben oder durch Steuererhöhungen) können eine solche positive Wirkung entfalten. Gegenfinanzierung heißt nämlich, dass gleichzeitig durch die sinkende Nachfrage die Gewinne der Unternehmen um die Summe verringert werden, die man einzusparen versucht. Wer die Schuldenbremse einhalten will, ist von vorneherein verloren.
Vor vielen Jahren prägte Karl Schiller das Wort „Globalsteuerung“. Darum genau geht es. Die Versuche der Ampelregierung, immer mal wieder dem einen oder anderen Unternehmen unter die Arme zu greifen, waren sinnlos und gefährlich. Man braucht sich von Seiten der Wirtschaftspolitik um kein einzelnes Unternehmen Gedanken zu machen. Managementfehler zu korrigieren, ist nicht Aufgabe der Politik. Auch gegenfinanzierte Subventionen zur Senkung der Strompreise oder Prämien für Investitionen kann man sich sparen, weil beides ebenfalls niemals eine durchgreifende Wirkung für die ganze Wirtschaft entfalten kann.
Woran also wird jede der Parteikonstellationen scheitern, die derzeit möglich sind? Es sind die vorherrschenden Vorurteile über staatliche Schulden, die eine Wirtschaftswende praktisch unmöglich machen. Die SPD will die Schuldenbremse zwar reformieren, aber die Union weigert sich und wird, selbst wenn sie am Ende leichten Lockerungen zustimmt, niemals das tun, was wirklich notwendig wäre, nämlich die ersatzlose Streichung dieser Wirtschaftsbremse aus dem Grundgesetz.
„Geld ist da“
Doch die Konfusion um Schulden und Sparen in Deutschland ist so gewaltig, dass niemand glauben sollte, sie ließe sich im Zuge von irgendwelchen Koalitionsverhandlungen überwinden. „Geld ist da“, schreibt beispielsweise die Süddeutsche Zeitung am vergangenen Samstag, um Deutschlands Stärken zu beschreiben. Man verweist auf 9 Billionen Euro an Geldvermögen, über das die deutschen Privathaushalte verfügen. Das Geld sei Kapital, das man verwenden könne, um die Wirtschaft anzuschieben, wenn man nur die Weichen richtig stelle. Doch das ist Unsinn, denn alles, was am Geldvermögen vorhanden ist, ist längst gebunden in Krediten. Den 9 Billionen Geldvermögen stehen 9 Billionen an Schulden gegenüber, die vor allem vom Staat und von ausländischen Schuldnern eingegangen wurden. Weil Deutschland über zwei Jahrzehnte hohe Leistungsbilanzüberschüsse verzeichnet, ist das Ausland der wichtigste Schuldner geworden.
Wer wissen will, wieviel „Geld da ist“, muss sich die jährliche Neuersparnis anschauen. Die ist größenmäßig in der Tat auch nicht von schlechten Eltern, liegt nämlich bei etwa 250 Milliarden pro Jahr. Hier muss man ansetzen. Da die 250 Milliarden unmittelbar Nachfrageausfall für die Unternehmen bedeuten, kann nur eine Politik erfolgreich sein, die sich aktiv um diese gewaltige Nachfragelücke kümmert. Bisher hat das Ausland diese Lücke fast im Alleingang gefüllt, aber das ist Merkantilismus und wird das Zeitalter des Donald Trump nicht überleben. Wem es nicht gelingt, mit nationalen Maßnahmen, also mit nationalen Schulden, die eigenen Unternehmen vor diesem jährlichen Spartsunami zu schützen, hat keine Chance auf eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung.
Es kann doch nicht sein, werden viele sagen, das man nur mit hohen staatlichen Schulden über die Runden kommen kann. Doch, es kann sein. Es ist sogar absolut zwingend. Zwar könnten die Unternehmen die Rolle des Schuldners übernehmen, so wie das in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts der Fall war. Aber seit zwanzig Jahren sind die Unternehmen selbst fast überall auf der Welt zu Sparern geworden, verschärfen also ihr eigenes Nachfrageproblem, statt es zu lösen. Die USA sind in den vergangenen zehn Jahren nur deswegen so viel besser als der Rest der Welt in Sachen Wirtschaftsentwicklung gewesen, weil sie sich keinerlei Restriktionen für die staatlichen Schulden unterworfen haben. In der Tat liegt die staatliche Schuldenquote in den USA derzeit bei 120 Prozent, ein Wert, bei dem Europa vollends die Fassung verlieren würde.
Ein Crash-Kurs ist unabdingbar
Die Aufgabe der neuen deutschen Regierung ist im Grunde einfach: Sie muss sich umfassend über ihre Möglichkeiten informieren, intelligente Ökonomen einstellen und der deutschen Bevölkerung einen Crash-Kurs in moderner Volkswirtschaftslehre verpassen. Nur wenn die Masse der Menschen beginnt zu begreifen, dass ihre Ersparnisse nicht die Lösung, sondern das Problem sind, kann es einen Schwenk hin zu erfolgreicher Wirtschaftspolitik geben. Dann könnte Deutschland auch wieder eine Führungsrolle in Europa übernehmen. Auch die europäische Schuldenbremse muss weg und ersetzt werden durch einen Mechanismus, der Rücksicht nimmt auf die jeweiligen nationalen Ersparnisse.
Die Wahrscheinlichkeit, dass all das passiert, liegt allerdings ganz nahe bei null. Die deutschen Parteien sind intellektuell nicht so aufgestellt, dass sie in der Lage wären, über ihre eigenen langen Schatten zu springen. Die SPD hängt immer noch ihrer Agenda-Politik nach, die das Ausland zu Schuldnern gemacht hat und möchte das gerne noch hundert Jahre weiterführen. Die Union ist niemals über das geistige Niveau der schwäbischen Hausfrau hinausgekommen und ist sogar stolz darauf. Folglich werden sich die Verhandlungen um eine Schwarz-Rote Koalition um kleine und kleinste Reformen an der Schuldenbremse drehen und Europa wird einfach vergessen. Einen Aufschwung, der den Namen verdient, wird es nicht geben, von einem Boom ganz zu schweigen.
Profitieren wird davon vor allem die AfD. Obwohl die Partei noch viel dogmatischer als die CDU in Sachen Schulden ist, wird es ihr gelingen, dem Bürger zu verkaufen, sie sei eine wirkliche Alternative. Besser wäre es folglich, die CDU würde gleich jetzt mit der AfD koalieren und eine konservative Regierung auf die Beine stellen. Die wirtschaftspolitischen Programme der beiden Parteien sind fast deckungsgleich. Diese würde hundertprozentig in Sachen Wirtschaftspolitik kläglich scheitern. Dann wüsste in vier Jahren jeder, der es wissen will, dass es rechts der Mitte kein Konzept für einen Aufschwung der Wirtschaft gibt. Ein Ende mit Schrecken ist manchmal besser als ein Schrecken ohne Ende.