Ein Gastbeitrag von Joachim Nanninga
Gibt es unter Keynesianern einen grundlegenden Dissens über die Interpretation der in der Kapitalbilanz – neben der Leistungsbilanz die zweite Teilbilanz der Zahlungsbilanz – erfassten Zusammenhänge? Oder lassen sich vordergründig als widersprüchliche Meinungen erscheinende Positionen bei näherer Prüfung und genauer Klärung der Begriffe womöglich in Wohlgefallen auflösen?
Ein zentrales Thema bilden immer wieder die Ungleichgewichte im Außenkanal, die Überschüsse und Defizite in der Leistungsbilanz, weil sie in der Regel von einer der beteiligten Seiten nicht erwünscht sind. Es scheint wohl kaum jemanden zu geben, der Probleme damit hat zu verstehen, was Exporte und Importe sind und wie man zur Differenz, der berühmten Leistungsbilanz, kommt. Mit dem unvermeidlichen Zwillingsgeschwister, der Kapitalbilanz, ist geradezu das Gegenteil der Fall. Hier scheinen sich abgrundtiefe Probleme aufzutun – jedenfalls, wenn man sich Aufsätze in einschlägigen Plattformen anschaut. Ich will versuchen, einige leicht vermeidbare Fallstricke aus dem Weg zu räumen, um den Seziertisch für die echten Herausforderungen freizumachen.
Über zentrale wirtschaftspolitische Forderungen scheint unter Keynesianern kaum ein Dissens auszumachen zu sein: Löhne in Deutschland sollten auf breiter Front, vor allem an der Basis, steigen; Volkswirtschaften sollten nicht mittels Deflationspolitik auf Dauer im Außenkanal für Ungleichgewichte sorgen; im deutschen Inland zu tätigende Investitionen sollten stark steigen; die Infrastruktur im Verkehr, die Digitalisierung, die Bildung und vor allem die Abmilderung der Folgen der Klimakatastrophe verlangen entschiedenes Vorgehen. Die große Frage: „Wie soll das alles finanziert werden?“ ist grundsätzlich längst beantwortet und müsste uns nicht schrecken.
Wir haben ein äußerst wirksames Finanzsystem, das alles Mögliche finanzieren kann – wenn man nur will. Wer solvent, also kreditwürdig ist, ist bei Banken ein gerne gesehener Kunde. Wir wissen auch, dass die Banken nicht vorgängig Spareinlagen benötigen, um Kredite zu vergeben. Eine solche Sicht der Dinge würde ohnehin nichts erklären. Denn diese „Spareinlagen“ selbst konnten ohne Kredite gar nicht entstehen. Konsens ist auch, dass der Staat ein exzellenter Schuldner ist, weil seine Gläubiger normalerweise sicher sein können, dass die Zentralbank ihre Rolle als lender of last resort wirklich einnimmt. Das schließt jedoch nicht aus, dass auch Staaten ihren Ruf als Schuldner und insbesondere den ihrer Währung gründlich ruinieren können.
So weit, so gut. Die großen Differenzen beginnen da, wo es um das „Sparen“ auf der Ebene der Volkswirtschaft geht, also um den Kapitalexport und das volkswirtschaftliche Investitionsvolumen. Hier sind die Keynesianer keineswegs einer Meinung, weil einige immer wieder auf die Metapher des Sparens ohne Explikation dieses Begriffes zurückgreifen.
Wenn wir uns nicht sofort in den Verschlingungen des Themas verwickeln lassen wollen, bedarf es einiger weniger fundamentaler Unterscheidungen. Wir sollten unterscheiden:
- Finanzierungsebene: Hier geht es hauptsächlich um Ein- und Auszahlungen und die Aufnahme und Tilgung von Krediten, also um Veränderungen in der Dimension der Zahlungsfähigkeit
- Geldvermögens-Ebene: Einnahmen und Ausgaben, Verkäufe und Käufe, also Veränderungen in der Dimension des Geldvermögens
- Bestandsrechnung und Flussrechnung: Unternehmensbilanzen weisen Bestände aus. Besonders interessiert hier der Vergleich des Vermögensbestandes am Anfang des Jahres mit dem am Ende. Leistungsbilanz und Kapitalbilanz eines Landes sowie die Finanzierungssalden der Sektoren weisen dagegen Flussgrößen aus, nämlich das, was sich in einem definierten Zeitabschnitt ergeben hat.
- Vermögensrechnung und Einkommensrechnung: Ersteres ist eine Bestandsrechnung, d. h., das gesamte vorliegende Vermögen wird bilanziert. Letzteres ist eine Flussrechnung, d. h., Einkommen bezieht sich immer auf einen Zeitabschnitt, in dem man einen spezifischen Zufluss verzeichnet
- Blick zurück (ex post) und Blick nach vorne (ex ante): Der Blick zurück ist der Blick der Buchführung. Was ökonomisch gewesen ist und was sich ökonomisch ergeben hat, kann in Form von Buchführung verzeichnet werden, ist aber nicht Gegenstand von Veränderung. Bei dem Blick nach vorne geht es um Ziele und Erwartungen und damit um die beiden Fragen, ob man und in welchem Ausmaß erfolgreich sein wird und inwieweit die Erwartungen eintreffen werden oder nicht.
Am einfachen Beispiel der Finanzierungssalden der unterschiedenen volkswirtschaftlichen Sektoren Staat, private Haushalte, Unternehmen und Ausland können wir es exerzieren. Hier geht es trotz des Namens nicht um die Art und Weise der Finanzierung dieser Salden, wie man vielleicht vermuten könnte. Diese Salden sind Größen der Geldvermögens-Ebene, nicht der Finanzierungs-Ebene.
Wenn also von Finanzierungssalden die Rede ist, ist damit gemeint, dass dort etwas finanziert wurde, Einnahmen und Ausgaben nämlich und insbesondere ihre Differenz. Welche konkreten Formen der Finanzierung dabei genutzt wurden, ist in dem Berichtswesen der Finanzierungssalden der Sektoren nicht festgehalten. Die Finanzierungssalden sind eine Flussgröße, Geldgröße pro Zeiteinheit. Sie weisen den Veränderungsbetrag der Bestandsgröße Netto-Geldvermögen des betreffenden Sektors für die entsprechende Zeit aus. Dieser wurde ex post mittels Buchführung festgestellt. Es geht hier um die Vermögens-, nicht um die Einkommens- oder Liquiditätsthematik.
Finanzierungssalden sind Leistungsbilanzen der Sektoren
Die Finanzierungssalden sind die Leistungsbilanzen der Sektoren. Wenn die Finanzierungssalden aller inländischen Sektoren addiert werden, liegt für das betreffende Land der Leistungsbilanzsaldo vor. Das Verständnis der Leistungsbilanz bietet im Allgemeinen keine besonderen Herausforderungen: Die abgegebenen Leistungen (exportierte Güter und Dienstleistungen) werden den empfangenen gegenübergestellt. Ein Leistungsbilanzdefizit liegt vor, wenn die importierten die exportierten Leistungen (in den jeweiligen Preisen gerechnet) übersteigen.
Irritationen entstehen meist erst mit der Einbeziehung der Kapitalbilanz. Wir können uns den Zusammenhang aber mit einfachen Schritten vergegenwärtigen. Schließlich liegt hier keine offene Frage vor, über die es einen theoretischen Streit geben könnte. Es geht um das Werkzeug für die Lieferung von soliden Daten, deren Vorliegen erst die Voraussetzung für Interpretation und theoretischen Streit liefert. Vorweg: Leistungsbilanz und Kapitalbilanz gehören zusammen und bilden die beiden Teile der Zahlungsbilanz. Ein positiver Saldo der Leistungsbilanz ist genau gleich dem absoluten Wert des negativen Saldos der Kapitalbilanz. Mit anderen Worten:
Leistunsbilanzsaldo + Kapitalbilanzsaldo = 0
Diese Gleichung ist keine empirisch Behauptung, sondern eine buchhalterische Trivialität. Wer das bei der Erstellung der Statistiken (bei uns die Bundesbank) im ersten Anlauf und nach weiterer Fehlersuche nicht hinbekommt, nimmt Ausgleichsbuchungen vor, die zum erforderlichen Ergebnis (der Erfüllung der obigen Gleichung) führen.
Für die Betrachtung der Zusammenhänge will ich mich eines so einfachen wie unrealistischen Beispiels bedienen. Wir denken uns zwei Länder A und B. Aus A wird im Wert von 100 € nach B exportiert, ohne dass es zu weiteren Leistungstransaktionen zwischen den Ländern kommt oder gekommen ist. Land A hat also einen Leistungsbilanzüberschuss von 100 €, Land B ein gleich großes Leistungsbilanzdefizit. Wir tragen die Transaktion folgendermaßen in die Bilanzen ein:
Wir sehen hier zwei (im Gegensatz zu den immer ausgeglichenen kaufmännischen Bilanzen) unausgeglichene Bilanzen. Die Ausgeglichenheit wird erst für die buchhalterische Zusammenführung in der Zahlungsbilanz verlangt. Es sind auch keine Bilanzen des Vermögensbestandes, sondern der periodenbezogenen Bestandsänderung.
Was ist nun in der Kapitalbilanz zu buchen? Wir gehen im Beispiel davon aus, dass der Lieferant aus A dem Empfänger in B eine Rechnung mit Zahlungsziel von 6 Monaten gestellt hat:
Die umgekehrte Position von Im- und Export bei der Kapital- gegenüber der Leistungsbilanz ergibt sich aus buchhalterischer Konvention und muss uns hier nicht weiter beschäftigen (Aktivische Konten werden im Soll, passivische im Haben vermehrt).
Sektorsalden sind Salden und keine Kredite
Land A hat gegenüber Land B einen Forderungssaldo von 100 € in der Periode, für die bilanziert wurde. Die dafür verantwortliche Forderung hält selbstverständlich der Lieferant, nicht etwa das Land. Er hat in unserem primitiven Beispiel seinem Kunden einen Kredit eigeräumt. Dennoch sollte niemand auf die Idee kommen, zu glauben, Sektorsalden seien Kredite. Wenn in der Kapitalbilanz alle Forderungen in der rechten Seite (Haben) und alle Verbindlichkeiten in der linken Seite (Soll) gebucht werden, ergibt sich bei einem Überwiegen der Forderungen gegenüber den Verbindlichkeiten ein negativer Saldo. Die Kapitalbilanz von Land A hat also einen Saldo (Kapitalimporte minus Kapitalexporte) von -100 €.
Die jeweiligen Kapitalbilanzen der Länder weisen folglich einen Saldo auf, der für ihre jeweiligen Zahlungsbilanzen einen Ausgleich darstellt:
Was heißt es, „für den Ausgleich der Zahlungsbilanz sorgen“?
Ein kleiner Hinweis auf einen typischen Ausdruck im Ökonomen-Slang ist hier angebracht: Da wird bisweilen vom Ausgleich der Zahlungsbilanz als einer praktischen Herausforderung für die Wirtschafts-, Währungs- oder Geldpolitik gesprochen. Hier kommt allerdings die oben aufgeführte Unterscheidung ex post und ex ante, also Blick zurück oder Blick nach vorne, zum Tragen. Ex post kann und muss man praktisch nichts für den Ausgleich tun. Es geht lediglich um Buchführung. Und die verzeichnet die Daten der vorgefallenen Transaktionen in ihrem Schema so, dass die Zahlungsbilanz immer ausgeglichen ist. Die Herausforderung für die Buchhalter besteht darin, einen möglichst vollständigen Datensatz verfügbar zu machen und die Notwendigkeit für Ausgleichsbuchungen auf ein Minimum zu reduzieren.
Wenn mit der Blickrichtung ex ante von der praktischen Herausforderung, für den Zahlungsbilanzausgleich zu sorgen, die Rede ist, ist etwas anderes gemeint: Kein Land möchte seine internationale Zahlungsfähigkeit verlieren. Die Herausforderung für die verantwortlichen Regierungsstellen liegt daher darin, dafür zu sorgen, dass die Devisenreserven nicht unter ein festgelegtes Mindestmaß sinken. Das ist ein weiteres großes und wichtiges Feld, dem hier jedoch nicht weiter nachgegangen werden kann.
An dem mit den Reparationspflichten des Deutschen Reichs aufgrund des Versailler Friedensvertrages einhergehenden Transferproblem lässt sich der Zusammenhang studieren. Für J. M. Keynes ebenso wie für W. Lautenbach war es der entscheidende Anstoß zur Entwicklung ihrer neuen ökonomischen Ideen, die hier allerdings gar keine Bedeutung haben. Das zeigte sich auch daran, dass man Keynes vorhielt, bei der Beurteilung des Transfer-Problems gar nicht keynesianisch, sondern klassisch argumentiert zu haben. Das Transferproblem ist kurz gesagt folgendes: Die innerhalb des Deutschen Reiches durch Abgaben aufgebrachten Mittel mussten als internationale, also in Gold konvertierbare Zahlungsmittel transferiert werden. Und genau diese Devisen konnten nur durch fortwährende deutsche Leistungsbilanzüberschüsse erzielt werden, an denen die Siegermächte allerdings kein Interesse hatten. (Für die Weiteres siehe hier. Keynes‘ zweite, größere Studie ist hier frei verfügbar.)
Die Systematik der Zahlungsbilanz ist unabhängig davon, ob man post-keynesianischer oder neoklassischer Ökonom ist, und beruht schlicht auf einer Übereinkunft, wirtschaftliche Transaktionen in bestimmter Form aufzuschreiben: Die exportierten und die importierten Leistungen werden mit ihrer Bewertung in der betreffenden Währung in der einen Liste (Leistungsbilanz) aufgeschrieben; die damit einhergehenden Forderungen und Verbindlichkeiten, wiederum als Geldgrößen ausgedrückt, finden in der Nachbarliste (Kapitalbilanz) Platz. Das ist alles reine Buchhaltungs-Konvention unter Nutzung der Technik der doppelten Buchführung. D. h. jede Transaktion wird durch Bebuchung zweierunterschiedlicher Konten festgehalten. In unserem Beispiel des Exports eines Guts, das mit 100 € bewertet ist: Sollbuchung in der Leistungsbilanz, Habenbuchung in der Kapitalbilanz.
Soweit, so trivial! Ein wenig Spannung mag aufkommen, wenn wir uns nun dem Phänomen der Bezahlung zuwenden und uns fragen, welche Auswirkungen unterschiedliche Zahlweisen in den Bilanzen haben werden.
Kann die Bezahlung am Saldo der Kapitalbilanz etwas ändern?
In unserem Beispiel sei seit Rechnungsstellung mit Zahlungsziel die 6 Monate vergangen, die der Lieferant seinem Kunden für die Bezahlung eingeräumt hatte. Wir nehmen an, der Kunde will seinen Liquiditätsstatus wegen der Bezahlung nicht senken und besorgt sich deshalb einen Bankkredit. Mit der Bezahlung tilgt der Importeur seine Verbindlichkeit bei seinem Lieferanten. Stattdessen hat er nun in gleicher Höhe eine neue Verbindlichkeit gegenüber seiner Bank. Das nennt man eine reine Finanztransaktion. Sie berührt nicht die Höhe des Netto-Geldvermögens der beteiligten Transaktionspartner; sie verändert lediglich deren innere Zusammensetzung.
Für den Käufer ist aus der Verbindlichkeit gegenüber dem Lieferanten nach Kreditaufnahme und Zahlung eine Verbindlichkeit gegenüber der Bank geworden. Für den Lieferanten gilt dasselbe: An die Stelle seiner Forderung gegenüber dem Kunden tritt eine Forderung gegenüber der Bank. Durch Wahrnehmung ihrer Rolle als Intermediär zwischen einem Schuldner (Debitor) und einem Gläubiger (Kreditor) konnte die Bank im Verein mit ihren Kunden zusätzliche Zahlungsmittel entstehen lassen. Die ursprüngliche „sonstige Forderung“ wurde monetisiert. Da mit der Bezahlung keine Leistungstransaktion verbunden ist, sondern eine reine Finanztransaktion stattfand (für den Lieferanten Umtausch der sonstigen Forderung in eine Bank-Gutschrift; für den Kunden Umtausch der Verbindlichkeit gegen den Lieferanten in eine Bank-Verbindlichkeit), ist nur die Kapitalbilanz betroffen. Buchungen, die nur Konten der Kapitalbilanz betreffen, sind saldenunwirksam. Der Saldo der Kapitalbilanz bleibt gleich.
Für das Land A ist die Kreditforderung weggefallen und an ihre Stelle ist die Einzahlung (Eintreffen der Zahlungsmittel) getreten. Für Land B gilt umgekehrt entsprechendes. Durch den Zahlungsvorgang ist die Leistungsbilanz nicht berührt, weil mit der Zahlung keine Leistungstransaktion verbunden ist. An die Stelle der ursprünglichen Forderung gegen einen Kunden ist eine Forderung des Lieferanten gegen eine Bank getreten. Im Zahlungsverkehr können dabei mehrere Banken mit reinen Finanztransaktionen beteiligt gewesen sein, insbesondere wenn der Außenhandel nicht wie in unserem Beispiel mit einer gemeinsamen Währung, sondern in internationaler Handelswährung abgewickelt wurde. Der Lieferant benötigt dann wieder heimische Zahlungsmittel, um seine inländischen Lieferanten und Arbeitnehmer zu bezahlen. Die Devisen hatte seine Geschäftsbank an der Devisenbörse oder bei der Zentralbank eingetauscht.
Was immer wieder Kopfzerbrechen macht…
Genau an dieser Stelle wirkt die Benennung der Kapitalbilanz mit ihren Teilgliederungen zugegebenermaßen kontraintuitiv. Nehmen wir an, unser Importeur hätte sofort bezahlt. Dann hätte der Geschäftsvorfall ohne die Zwischenstufe des direkten Lieferantenkredits für die Leistungsbilanz des Landes A und die des Landes B keine Änderungen nötig; in der Kapitalbilanz des Landes A würden wir für die eintreffende Zahlung genauso einen Kapitalexport buchen müssen, wie wir es für das Entstehen der Kreditforderung getan haben. Umgekehrt würde in der Kapitalbilanz des Landes B für die abfließende Zahlung genauso ein Kapitalimport zu buchen sein wie zuvor für die mit 6 Monaten versehene Zahlungsverpflichtung.
Hier sträuben sich sicher bei vielen Lesern die Nackenhaare: Auf dem eigenen Konto trifft eine Zahlung vom Kunden ein, und dass soll ein Kapitalexport sein?! Als Käufer zahle ich, und das soll Kapitalimport sein!? Das unwillkürliche Widerstreben zeigt: Mit unserem mundanen Denken sind wir fast alle noch in der Welt der Goldwährung verhaftet, obwohl wir dauernd von der Notenpresse reden. Das exportierte Gut wurde aber nicht mit Gold bezahlt, sondern gegen eine Forderung getauscht, die auch im Falle der Bezahlung eine Forderung bleibt – nur mit dem Unterschied, dass sie sich nicht mehr gegen einen privaten Wirtschafter, sondern nunmehr gegen eine Bank richtet. Der Käufer hat die Leistung, das erworbene Gut, bei direkter Bezahlung gegen seine Bank-Forderung getauscht.
In der Kapitalbilanz steht im Kopf der Liste mit den grenzüberschreitenden Forderungen (gegen Banken oder andere) nun einmal Kapitalexport, im Kopf der Liste mit den zu verzeichnenden grenzüberschreitenden Verbindlichkeiten Kapitalimport. Wir haben hier überhaupt kein ökonomisches Problem; nichts was sich durch angestrengtes Nachdenken lösen lassen muss. Wir haben hier lediglich eine Herausforderung, uns an die übliche Terminologie zu gewöhnen. Da bedarf es keiner Argumente, sondern eher Eselsbrücken.
Gibt es eine besondere Rolle der „Überschüsse“?
Hilft es uns hier nun weiter, wenn wir mit der Vorstellung arbeiten, das Land A hätte dem Land B irgendwie „Überschüsse“ zur Verfügung gestellt? Waren-Überschüsse, Kapital-Überschüsse oder „Geld“-Überschüsse? Das klingt alles danach, als hätte jemand irgendetwas nicht für sich selbst nötig und würde es anderen überlassen: irgendein Produkt und womöglich zusätzlich die Zahlungsmittel, um das Produkt zu kaufen. Damit wird aber nichts erklärt, sondern sogar Verwirrung gestiftet. Der Verkäufer verkauft sein Produkt nicht deshalb, weil er es nicht benötigt. Er ist Geschäftsmann und benötigt es dringend, um mit seiner Hilfe Umsatz zu generieren, bei Käufern im Inland oder im Ausland. Wenn er dem Kunden Kredit einräumt, dann um den Absatz zu steigern. Er räumt dem Kunden für die Bezahlung Zeit ein und besorgt sich die Deckung seines eventuell resultierenden zusätzlichen Liquiditätsbedarfes bei seiner Hausbank.
Wer jetzt meint, die mit Ablauf der Zahlungsfrist nötige und dann auch erfolgte Zahlung aus dem Land B in das Land A sei für Land A Kapitalimport, weil der Überweisungsbetrag, der in A ankommt doch „Kapital“ sei, zeigt damit, dass er/sie die Buchungssystematik und womöglich das Geldsystem nicht verstanden hat. Mit dem eintreffenden „Geld“ ist kein Gold oder anderes Waren-Geld eingetroffen. Vielmehr ist die durch die Leistungstransaktion entstandene Forderung, die zunächst eine Forderung direkt gegen den Kunden war, zu einer Forderung des Lieferanten gegen eine Bank geworden. Die zugehörige Verbindlichkeit ist letztlich nach wie vor, vermittelt über beliebig viele an den Transaktionen beteiligte Banken, im Land B zu finden, wenn dieses Land nicht in Höhe des betreffenden Betrages einen Devisenverlust hingenommen hat.
Selbst wenn ein Land in den Zustand bedrohlicher Devisenknappheit und damit der internationalen Zahlungsunfähigkeit fällt und der eignen Zentralbank B von der Zentralbank A eines befreundeten Landes Hilfe erhält, wird kein „Überschuss“ irgendwelcher Art transferiert. Zentralbank A schreibt einfach Zentralbank B eigenes Zentralbankgeld gut und erhält umgekehrt bei Zentralbank B ebenfalls eine entsprechende Gutschrift. Oder Zentralbank A interveniert am Devisenmarkt zugunsten der Währung von B. Das alles bedarf keines vorgängigen „Überschusses“.
An die Stelle von Devisen treten im Euroraum Targetsalden
Im Euroraum haben wir mit der gemeinsamen Währung die Devisenthematik nicht. Hier zeigt sich der deutsche Netto-Kapitalexport auch in den Targetsalden. Banken in den Euroländern mit negativen Targetsalden hatten ihre Kunden, zu denen auch ihre eigenen Staaten zählen, mit Kredit versorgt, den die eigene Zentralbank aufgrund der Regeln der EZB zu Zentralbankgeld monetisierte. Damit war ein negativer Saldo im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr innerhalb des Euroraumes ermöglicht. Das starke Wachstum der Target-Forderungen der Bundesbank gegen die EZB entspricht den Forderungen der EZB gegen die Zentralbanken im Euroraum mit negativem Saldo im ZB-Geld-Zahlungsverkehr. Das wiederum entspricht den Forderungen dieser Zentralbanken gegen heimische Geschäftsbanken, deren Verbindlichkeiten wiederum durch ihre Kredit-Forderungen an die heimischen Kunden gedeckt sind.
Auch hier zeigt sich: Der Kapitalexport, der sich als Anwachsen der Target-Forderungen zeigt, also als Zahlungszufluss in Deutschland, ist nichts anderes als die in Deutschland aufgebauten und nunmehr monetisierten Forderungen, deren korrespondierende Verbindlichkeiten über die geldvermögensneutrale Kaskade des Zahlungssystems sich letztlich im Nachbarland finden. Auch hier gilt: Bezug von Leistungen durch Eingehen einer Verbindlichkeit (statt wie in der Tauschwirtschaft durch eigene Leistung) ist für den Käufer Kapitalimport und für den Verkäufer Kapitalexport. Die Mehrung der eigenen Verbindlichkeiten ist Kapitalimport, die der Forderungen Kapitalexport, ob monetisiert oder direkt.
Von einem Problem hat uns die moderne monetäre Welt mit ihrem Fiat-Geld nicht befreien können: Wer mit dem Anwachsen seiner Verbindlichkeiten zu einem Netto-Schuldner geworden ist, also ein negatives Netto-Geldvermögen aufweist, kann nur dadurch wieder in eine schuldenfreie Position gelangen, wenn er im nötigen Umfang zum Kapitalexporteur wird, d. h. Perioden hat, in denen er/sie mehr einnimmt als auszugeben, mit anderen Worten einen Leistungsbilanzüberschuss hat. Das wird allerdings nur dann möglich sein, wenn der Rest der Welt ihm/ihr gegenüber die Komplementärrolle einnimmt, also ein Leistungsbilanzdefizit aufweist.
„Geld“ – Ja, aber wovon sprechen Sie jetzt?
In unserer modernen monetären Welt gibt es „Geld“ entweder
- als Zahlungsmittel = fast ausschließlich als Forderungen gegen Banken inkl. Zentralbanken, häufig wird auch von „Kasse“ gesprochen. Das ist die Liquidität oder Zahlungsfähigkeit, die null oder größer null, aber nicht negativ sein kann.
- oder als Netto-Geldvermögen (NGV), d. h. als Saldo aller in einer Währung denominierter Forderungen und Verbindlichkeiten (Kasse, Bankeinlagen, Verbindlichkeiten gegen Banken oder Nichtbanken). NGV kann auch negativ sein. Wohlgemerkt: Bei völliger Zahlungsunfähigkeit kann trotzdem positives NGV vorliegen!
Wer das nicht berücksichtigt und ohne diese Differenzierung einfach von „Geld“ spricht, macht sich das Verständnis der Kapitalbilanz unnötig schwer, weil er/sie sich vorstellt, die Angelegenheit sei mit der Bezahlung doch abgegolten. Die Bezahlung zeigt aber nur an, dass die mit der unausgeglichenen Leistungsbilanz verbundenen Geldvermögensumschichtungen im erforderlichen Umfang monetisiert wurden oder mit Verringerung der Kasse verbunden waren.
Wenn unser Kunde seinem Lieferanten Zahlungsmittel zur Begleichung seiner Verbindlichkeiten zukommen lässt, also „bezahlt“, bleibt es also dabei, dass das Land A mit der Export-Transaktion, verbucht in der Leistungsbilanz, eine Kapitalexport-Transaktion, verbucht in der Kapitalbilanz, zu verzeichnen hat. Mit der Gesamt-Transaktion ist für Land A der Saldo aller seiner Verbindlichkeiten und Forderungen um 100 € gesunken, für Land B gestiegen. Die Bezahlung hat lediglich die innere Zusammensetzung der Gesamtheit der Forderungen und Verbindlichkeiten verändert.
Was befähigt den Kunden im Defizitland zu zahlen?
Eines genauen Blickes würdig ist nun allerdings die Frage, was den Kunden im Land B überhaupt zahlungsfähig macht oder gemacht hat. Bislang hatten wir lediglich eine Bank zwischengeschaltet und eine gemeinsame Währung unterstellt. Wenn wir zwei Länder mit je eigenen Währungen haben, gibt es mehrere zusätzliche Zwischenschritte. An der Grundarchitektur ändert sich aber nichts. Der Kunde aus B kann in A kaufen,
- wenn er vom Lieferanten Kredit erhält;
Er kann zusätzlich zahlen, wenn
- er selbst über entsprechende Devisen aus A oder über in A akzeptierte Devisen verfügt oder Zahlungsmittel des eigenen Landes in diese Devisen eintauschen kann; oder
- sich entsprechende Devisen per Kredit beschaffen kann; oder
- der Lieferant aus A Zahlungsmittel aus B akzeptiert.
Wenn Import/Export mit sofortiger Bezahlung einhergehen, wird in der Leistungs- und Kapitalbilanz saldenwirksam gebucht. Alle Formen der Finanzierung, die nach dem Entstehen einer „sonstigen Forderung“ diese Verbindlichkeit durch eine Bezahlung jedwelcher Art ablösen, berühren die Leistungsbilanz nicht und bleiben als reine Finanztransaktionen in der Kapitalbilanz und damit saldenunwirksam.
Als Differenzierung unseres einfachen Beispiels mit den beiden Ländern A und B und den einzigen Transaktionen, dem Export/Import, dem Kredit und der anschließenden Bezahlung will ich nur eine kleine Erweiterung einflechten, die dazu führt, dass der Exporteur in Land A selbst keinen Leistungsbilanzüberschuss hat und dass der Importeur in Land B selbst kein Leistungsbilanzdefizit hat. Für beide soll also gelten, dass ihre Einnahmen und Ausgaben in der betrachteten Berichtsperiode genau gleich sind; oder geradezu umgekehrt, dass der Exporteur einen Ausgabenüberschuss und der Importeur einen Einnahmenüberschuss aufweist. All das ist nicht nur trivial möglich, sondern vielfach vorhanden, wenn in den jeweiligen Ländern andere Wirtschafter die buchhalterisch nötigen Gegenpositionen aufweisen, und braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden.
Kein Leistungsbilanzdefizit ohne entsprechende Finanzierung
Nehmen wir nun an, das Land B habe Jahr für Jahr ein Leistungsbilanzdefizit. Für diesen Fall lässt sich ein Set von Bedingungen angeben, die in ausreichendem Maße bei wechselseitiger Substitution erfüllt sein müssen. Ohne sie hätte es nicht zu den Defiziten kommen können. Das Leistungsbilanzdefizit des gesamten Landes ist die Summe der Leistungsbilanzsalden aller einzelnen Wirtschafter des Landes einschließlich aller staatlichen Stellen. Dabei war die Summe aller Salden von Wirtschaftern, die jeweils ein positives Ergebnis erzielt haben kleiner als die der Wirtschafter mit jeweils negativem Ergebnis. Die Wirtschafter mit negativem Leistungsbilanzsaldo konnten dieses nur erzielen entweder durch Minderung ihrer Kasse oder durch Kredit.
Wenn wir auf das gesamte Land mit seinem negativen Saldo schauen, kommen wieder nur diese beiden Möglichkeiten infrage: Verringerung der Devisenreserven und/oder Kapitalimport als Kredit (von Privat, ausländischen Banken, Zentralbanken oder übernationale Institutionen, die Devisen zur Verfügung stellen). Damit werden die Finanzierungssalden keineswegs als Kreditbeziehungen interpretiert. Das ändert aber nichts daran, dass ein solcher negativer Saldo eines Sektors oder des gesamten Inlandssektors nur existieren kann bei Sinken des Zahlungsmittelvorrates und/oder bei Anwachsen des Kreditvolumens aller einzelnen Wirtschafter, die den Gesamtsaldo in das Negative getrieben haben. Insoweit der gesamte Inlandssektor betroffen ist, werden auch die Devisenbestände belastet und/oder kommen in Devisen denominierte Kredite ins Spiel. Irgendwie muss der Ausgabenüberschuss schließlich finanziert worden sein. Im Euroraum tritt an die Stelle der Devisen die Monetisierung inländischer Kredite, also den Umtausch in Euro-Zentralbank-Geld, durch die heimische EZB-Filiale.
Setzen wir uns nun dem Vorwurf aus, uns Großsubjekte zu imaginieren, wenn wir von Auslandsverschuldung oder Auslandsvermögen sprechen? Eine negative Leistungsbilanz, die ausschließlich aus buchhalterischen Gründen, nicht etwa aufgrund von „Kausalzusammenhängen“, zwangläufig auch eine positive Kapitalbilanz, also Netto-Kapitalimport mit sich führt, ist mit anderen Worten nichts anderes als eine Geldvermögensumschichtung aus dem Land mit Leistungsbilanzdefizit und Nettokapitalimport in die Restwelt, die ihrerseits Nettokapitalexport betrieben hat (Netto-Kapitalimport = Netto-Geldvermögens-Abfluss; Netto-Kapitalexport = Netto-Geldvermögens-Zufluss). Die jeweiligen Länder sind hier aber nur statistische Aggregate. Die Vermehrung oder Verminderung des Netto-Geldvermögens betrifft die einzelnen Wirtschafter. Es gibt aber auch Wirtschafter, die durchaus beträchtliche Größe aufweisen, als Akteure auf den Märkten und im Ausmaß ihrer Netto-Geld-Verschuldung, das sind die jeweiligen staatlichen Körperschaften.
Robinson und Freitag führen das moderne Geldsystem ein
Stattdessen möchte ich es in einem letzten Anlauf allen Lesenden mit Restzweifeln leichter machen nachzuvollziehen, dass auch die Bezahlung für die Bezahlenden ein Kapitalimport bleibt. Um der Gefahr der Imagination von Groß-Subjekten zu entgehen, will ich mich der auch von vielen Ökonomen gerne genutzten Robinsonade bedienen.
Robinson und Freitag haben es satt, von der Hand in den Mund zu leben, und wollen das, was sie zum Leben benötigen, produktiver herstellen. Sie wollen sich aber weitestgehend unabhängig voneinander abmühen und sich nicht in eine gemeinsame Planwirtschaft einfinden. Trotzdem bleiben sie aufeinander nicht minder angewiesen: Wenn der eine Produktionsmittel entwickelt, ist er auf den zusätzlichen Fischfang des anderen angewiesen. Robinson besinnt sich, dass er aus dem Schiffswrack unter anderem einen Folianten über Buchführung und eine Kiste mit unzähligen, wertlosen Glasperlen gerettet hatte, mit denen die Schiffsbesatzung im Tauschverkehr Indigene übervorteilen wollte.
Nach gemeinsamer intensiver Lektüre beschließen beide, gemeinsam eine Bank zu gründen, die Zahlungsmittel emittiert, die sie zur Abwicklung ihrer Kaufprozesse untereinander nutzen wollen. Freitag hat zunächst nicht viel Lust, direkt zur Produktivitätsentwicklung beizutragen und will sich lieber später abschauen, ob Robinson etwas Erfolgreiches eingefallen ist, das er selbst dann zu kopieren gedenkt. Freitag verdoppelt deshalb seinen Arbeitseinsatz um Fische und Früchte verfügbar zu machen. Die Hälfte seines Erfolges will er an Robinson verkaufen. Zunächst überlässt er Robinson diese Hälfte, verbunden mit dem festen Versprechen von Robinson, später zu zahlen. In Ermangelung des Anschlusses an das Britische Pfund haben beide gemeinsam und willkürlich für den Ertrag der gesteigerten Tagesleistung von Freitag einen Preis von 10 Glasperlen (GP) vereinbart. Robinson schuldet Freitag also nun 5 GP und wendet sich an die gemeinsam betriebene Bank, um diese per Kredit zu erlangen.
Da Freitag Interesse hat, bezahlt zu werden, und daran denkt, demnächst vielleicht selbst einmal Kredit zu benötigen, willigt er in den unbesicherten Kredit der Bank an Robinson ein. Zum Glück der beiden Bankkunden wie der beiden Bankdirektoren war der Glasperlenvorrat so groß, dass er auf dem Eiland für mehrere Menschenleben gereicht hätte. Als zweites Glück zeigte sich, dass etwa gleichviele rote wie grüne Perlen vorrätig waren.
Die Bank schlug nun unter einem Felsüberhang für jeden der beiden Bankkunden zwei Mulden in eine horizontale Felsplatte, links zwei für Robinson und rechts zwei für Freitag. Robinson erhielt nun seinen Kredit 5 GP, grüne Perlen in die eine der beiden Mulden, die nun für ihn als Zahlungsmittel verfügbar waren. In die direkt benachbarte Mulde legte die Bank 5 rote Perlen, die Robinsons Kreditverbindlichkeit gegen die Bank anzeigten. Robinson zahlte jetzt an Freitag, indem er die Bank anwies, 5 grüne Perlen in die entsprechende Felsvertiefung auf Freitags Seite zu legen.
Was sind die ökonomischen Folgen in der ex-post-Betrachtung?
- Ausgabenüberschuss bei Robinson (R) 5GP
= Leistungsbilanzdefizit bei R 5GP, Kapitalbilanzüberschuss bei R 5GP
= Netto-Geldvermögen von R um 5GP gesunken (= -5GP) - Kapitalbilanz- und Leistungsbilanz-Saldo durch Kreditaufnahme unberührt, ebenso wenig NGV beider Seiten.
- Das Gleiche gilt für die Zahlung von R an F.
- Durch Zahlung direkte Verbindlichkeit von R gegenüber Freitag (F) um 5GP gesunken
- Verbindlichkeit von R gegenüber Bank um 5GP gestiegen, Forderungen von F an R um 5GP gesunken, gegenüber Bank um 5GP gestiegen.
- F hat in Höhe von 5GP in Geld gespart, einen Leistungsbilanzüberschuss von 5GP erzielt
- F hat in Höhe von 10GP Einkommen generiert, davon in Höhe von 5GP selbst konsumiert und 5GP in Geld gespart.
- R glaubt, mit der Arbeit an seinem neuen Fischfang-Werkzeug im Wert von 7GP vorangekommen zu sein. Sein Einkommen berechnet er daher mit 7GP, konsumiert hat er in Höhe von 5GP. In dieser Höhe hatte er von F Lebensmittel abgekauft. R bilanziert für sich, um 2GP reicher geworden zu sein, da seinem auf 7P angewachsenen Sachvermögen sein negatives Netto-Geldvermögen in Höhe von 5GP gegenübersteht. Er hat 2 GP in Sach- und nicht in Geldvermögen gespart.
- Das Netto-Geldvermögen der kleinen Eiland-Ökonomie kann nicht wachsen. Für die gesamte Ökonomie kann das Reinvermögen (RV) nur durch Vermehrung des Sachvermögens (SV) wachsen.
- Wenn beide jeweils in rückschauender Bewertung zuvor für 5P gearbeitet und für 5P konsumiert haben, ist ihr Bruttosozialprodukt durch ihren explodierten Arbeitseifer stark gestiegen. Die genaue Aufstellung des BSP hängt nun von den gewählten Regeln für die Erfassung der Eigenleistungen ab.
Es zeigt sich also: Hier in der Ökonomie des Eilandes wie ebenfalls in der Weltwirtschaft ist Sparen im Ganzen nur als Mehrung des Sachvermögens, nicht aber des Geld-Vermögens möglich. Jegliches „Geld“-Sparen ist zugleich „Geld“-Verschuldung an anderer Stelle.
Auch hier die Frage: Kehrt die Bezahlung irgendetwas um?
Was uns hier nun in unserem Zusammenhang der Zahlungsbilanz wirklich interessieren soll: Gibt es irgendeinen Grund, die Bezahlung der Verkäufe von Freitag an Robinson, mit denen Robinson seine direkte Verbindlichkeit in eine Verbindlichkeit gegenüber der Bank verwandeln konnte, zum Anlass für eine komplette Umkehrung der Salden in ihren Kapitalbilanzen heranzuziehen? Mit dem Kauf vor der Bezahlung hatte Robinson in der Kapitalbilanz ein Defizit von 5GP (=Kapitalimport), Freitag einen Überschuss von 5GP (=Kapitalexport). (Kapitalimport = Vermehrung der Verbindlichkeiten, Kapitalexport = Vermehrung der Forderungen.) So war die Lage nach dem Kauf/Verkauf und vor der Bezahlung:
Nach der Bezahlung stellt sich Lage so dar:
Für die Bank ist hier alles ein Null-Summen-Spiel, ihre Forderungspositionen sind ihren Verbindlichkeitspositionen gleich. R hat nur Verbindlichkeiten, F nur Forderungen.
An Rs Kapitalimport hat sich durch Bezahlung nur geändert, dass für ihn nunmehr dieser Import von einer Bank ausgeht. Der Betrag der Verbindlichkeiten hat sich für R nicht geändert. Fs Kapitalexport adressiert nun eine Bank. Bezüglich der Kapitalbilanzen beider Seiten hat sich nicht der Saldo geändert, sondern nur die Tatsache, dass eine Bank intermediär zwischen beide Seiten getreten ist. Die ursprüngliche „sonstige Forderung“ ist monetisiert, die Geldmenge in gleicher Höhe von 0 auf 5GP gewachsen.
Alles ohne Bargeld?
Bei allen, die jetzt glauben, auf dem einsamen Eiland würden Glasperlen als Zahlungsmittel genutzt, muss ich um Verzeihung bitten. Ich habe sie womöglich auf eine falsche Fährte gelockt. In unserem Beispiel gibt es nämlich nur Giralgeld. Die Glasperlen in den Mulden sind in Ermangelung von IT oder Papier und Tinte lediglich ein interner Buchführungsbehelf der Bank für das Vorliegen von Forderungen und Verbindlichkeiten. Einziges Zahlungsmittel unserer einsamen Eilandbewohner ist ihre Möglichkeit, die Bank zu beauftragen, GP aus ihrer Mulde in die Mulde des Geschäftspartners zu legen. Die Mulden sind die Kunden-Konten in der Buchführung der Bank, die Mulde für die grünen GP für Habenbuchung auf dem passivischen, die Mulde für die roten GP für die Sollbuchung auf dem aktivischen Kundenkonto der Bank. Mit einem Mangel müssen R und F in ihrer Bankbuchhaltung leben, bis ihnen etwas besseres einfällt. Die Buchführung auf dem Eiland bildet quasi automatisch immer nur den Saldo der Konten ab, nicht die Historie, die zu diesem Saldo geführt hat.
Obwohl Robinson sich zum Zweck der Investition für die Finanzierung seines Ausgabenüberschusses verschuldet hat, hat sich am Vermögen der Bank netto nichts geändert. Für eine positive Veränderung ihrer Netto-Vermögenssituation müssten die beiden Bankdirektoren einen Kreditzins festsetzen, der der Bank einen Gewinn ermöglichen würde. Die buchhalterische Gegenposition zum Ausgabenüberschuss von R liegt beim Einnahmeüberschuss von F und keineswegs bei der Bank.