Ein Gastbeitrag von Joachim Nanninga
„Gewinne aus Spekulation fallen privat an, Verluste werden aber sozialisiert oder dem Steuerzahler aufgebürdet!“ So oder so ähnlich lautet eine zu passender Zeit immer wieder erhobene Klage. Aber gibt es nicht auch Rettungsmethoden, die die Allgemeinheit nicht belasten, quasi zum Nulltarif? Wohlgemerkt: Wenn bei Rettungsbemühungen für die gesamte Volkswirtschaft der Ertrag nicht den Aufwand übersteigt, sollte man sie wohl unterlassen. Die Frage nach der Verteilung des Aufwandes ist damit noch nicht beantwortet. Ich will, was die Kosten betrifft, zu einer ersten Annäherung zu kommen, indem ich zunächst die Aufgabe in ein kleines Beispiel mit Nähe zum Bank-Run bei der SVB einkleide:
- Die Bank A hält Staatsanleihen mit dem Buchwert von 10 Milliarden € in ihrer Bilanz (Aktivvermögen), die sie zu Lasten ihrer Liquidität in einer Niedrigzinsphase erworben hatte, um so einen Ertrag zu erzielen, den sie mit der Zentralbankliquidität nicht erzielt hätte.
- Nach einer Leitzinserhöhung ist es absehbar, dass sie die Liquidität wieder benötigen wird, weil die eigenen Kunden ihrerseits zunehmend ihre eigene Liquidität aufgrund der eingetrübten Konjunkturlage benötigen.
- Die Liquiditätsvorausschau der Bank A ergibt, dass sie in 6 Monaten durch den sukzessiven Verkauf der Anleihen zum Tageskurs und unter Buchwert ihr Eigenkapital aufgezehrt haben wird, wenn es nicht zuvor zu einem Bank-Run gekommen sein wird. (Der aktuelle Preis der Anleihe liegt bei 90% des Buchwertes, und das Eigenkapital der Bank A beträgt 500 Millionen €.)
- Bevor die Schieflage der Bank A in der Öffentlichkeit bekannt wird, rettet die Zentralbank die Bank, indem sie der Bank das komplette Anleihepaket zum Buchwert in der Bilanz der Bank abnimmt. Die Schieflage der Bank ist beseitigt.
- Die Zentralbank hatte der Bank als lender of last resort eine Gutschrift von 10 Milliarden € erteilen können. Weil es bei ihr im Zahlungsverkehr zu keinem Mittelabfluss kommen kann und jede Belastung eines beliebigen Kontos durch eine Überweisung unmittelbar verbunden ist mit einer Gutschrift auf einem anderen Konto bei der Zentralbank, ist die Liquidität der Zentralbank in eigener Währung durch von ihr erteilte Gutschriften nie verringert. Mathematisch gesprochen ist sie „unendlich“.
- Der Kauf der Anleihen ist für die Zentralbank vermögensneutral: buchhalterisch gesprochen eine Bilanzverlängerung. Sie hält nunmehr eine zusätzliche Forderung (zum Fälligkeitstermin) gegen den Staat in Höhe von 10 Milliarden € (Aktiv-Seite der Bilanz) und eine zusätzliche Verbindlichkeit gegen die Bank A von ebenfalls 10 Milliarden € (Aktiv-Seite der Bilanz). Damit ist weder ein Aufwand noch Ertrag verbunden, also auch kein Verlust, da die Zentralbank die Anleihen zum Einkaufspreis verbucht.
- Die Zentralbank lässt ihre Forderungen gegen den Staat (Anleihen) bis zum Stichtag stehen, an dem die Auszahlung erfolgt: hier einfach durch Belastung des Staatskonto bei der Zentralbank. Der Wegfall der Anleihen aus der Bilanz der Zentralbank bei gleichzeitigem Wegfall gleich großer Verbindlichkeiten der Zentralbank gegenüber dem Staat ist für die Zentralbank wiederum vermögensneutral. Es handelt sich um vermögensneutrale Bilanzverkürzung, die Staats-Anleihen und der gleich große Zentralbankgeld-Betrag des Staates sind „erloschen“.
- Während der Verweildauer der Anleihen in der Bilanz der Zentralbank erhält diese genau die Verzinsung der Anleihe, die auch die Bank A hätte einstreichen können, wenn sie in der Lage gewesen wäre, die Anlagen weiter zu halten.
In unserem Beispiel hat keine der bisher genannten Akteure einen Verlust gehabt, den irgendjemand zu tragen gehabt hätte. Das liegt auch daran, dass die Beteiligten eine zu erwartende Liquiditätskrise der Bank A vermieden haben, die Öffentlichkeit von der Problemlage nicht informiert war und Kreditoren der Bank keinen Anlass sahen, Einlagen abzuziehen. Ist nicht dennoch für die Zentralbank auf einer anderen Ebene ein Schaden entstanden?
Rettungsaktionen der skizzierten Art konterkarieren die Geldpolitik der Zentralbank, die sie mit der Erhöhung der Leitzinsen betreiben will. Genau zu dem Zeitpunkt, in dem sie den Zugang zu Zentralbankgeld teuer machen will, vermehrt sie durch den Kauf der Anleihen die Geldmenge und verschafft diametral zu ihrer Geldpolitik der Bank A einen kostenlosen Zugang zu Zentralbankgeld. Wenn wir unterstellen, alle Bankdirektoren könnten davon ausgehen, dass im Falle eines Falles der Bank A die Zentralbank die benötigte Liquidität durch Kauf von Anleihen (nicht Kreditforderungen) der Banken zu Buchwerten bereitstellte, gäbe es eine starke Bremse für eine restriktive Geldpolitik. Man könnte die Bank A durch geeignete Instrumente sicherlich belasten, indem sie der Zentralbank neu emittierte Aktien überlässt. Solche Aktionen wären aber öffentlich und nur möglich, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Eine frühzeitige Rettung bevor die Bank in das Gerede gekommen ist und bevor die feinen Nasen der Zuträger von Großspekulanten den Angstschweiß der Bankgeschäftsführung gerochen haben, wäre selbstverständlich am besten und wohl auch am billigsten, indem es die durch einen Bankzusammenbruch verursachten Vermögens- und Einkommensverluste vermeidet und auch die Folgekosten bei Unternehmen, die eine Kreditklemme zu leiden haben werden und womöglich selber zusammenbrechen werden.
Unsere Beurteilung beruht selbstverständlich darauf, wie das Szenario konstruiert ist. Kommen wir zu einer anderen Beurteilung, wenn wir den Staat als weitere Größe mit in das Konstrukt einbeziehen? Er ist schließlich der große Debitor und verspricht mit seinen Anleihen zum Stichtag eine Rückzahlung. Seine eigene Zentralbank hat für ihn den Aufwand seiner Verschuldung durch Leitzinsanhebung in die Höhe getrieben. Das gilt aber nur für Anleihen, die nach der Zinsanhebung begeben werden. Wir bauen in unserem Beispiel für Banken oder anderweitige Halter von Staatsanleihen (Pensionsfonds, Versicherungen) nun fiktional eine für sie hoch attraktive Möglichkeit ein: Bei Zinserhöhung dürfen sie die alten Anleihen zum Buchwert für neue einzutauschen. Die Zentralbank kauft alle alten Anleihen zum Buchwert auf. Nach der eingangs vorgeführten Berechnung führen die geldvermögensneutralen Transaktionen zu keinen Kosten, wenn die Zentralbank den Stichtag der Anleihen aussitzt.
Die ehemaligen Halter der alten Anleihen nehmen nun mittels der gewonnenen Liquidität die neuen auf ihre Bilanzen. Das wäre gefahrlos, wenn nicht weitere Zinserhöhungen vorgenommen würden. Aber auch dann könnte das Verfahren wieder angewendet werden. Eine Leitzinserhöhung wäre automatisch eine höhere Verzinsung der kompletten Staatsschulden. Diese Überlegung zeigt, dass der Staat durchaus durch die oben dargestellte Rettungsaktion der Bank doch Kosten zu tragen hat, indem er zugunsten der Eigner von Staatsanleihen auf die niedrigere Verzinsung seiner alten Verbindlichkeiten verzichtet. Das ist kein Argument für das Unterlassen von Rettungsaktionen. Es gehört einfach in der gesamten Bewertung von Rettungsaktionen dazu.
Mit Blick auf die Zukunft, der immer der entscheidende Blick des Ökonomen sein sollte, stellt sich natürlich die Frage des moral hazard. Begünstigt der Staat nicht gefährliches Spekulieren von Banken, wenn er sie aus der beschriebenen Zwangslage heraushaut? Selbstverständlich tut er das! Er hatte aber auch selbst die Regeln geschrieben, zu denen die Bankdirektoren ihr Spiel spielen dürfen.
Wird oder wurde der berühmte Steuerzahler zur Kasse gebeten, den alle Journalisten im Munde führen, wenn der Staat selbst oder ein vom Staat gerettetes Unternehmen mit Missmanagement Schaden verursachen? Das ist eine empirische Frage. Es kommt zum Glück sehr selten vor, dass aus den genannten Gründen zusätzliche Steuern erhoben werden oder dass wegen des Unterbleibens solcher Vorkommnisse Steuern gesenkt worden wären. Letzteres muss ohnehin immer der Phantasie überlassen bleiben und kann nicht wirklich überprüft werden. Meistens ändert sich lediglich der Bestand der Staatsverschuldung und die ist immer zugleich erwünschtes Geldvermögen im nicht-staatlichen Sektor. Trotzdem erregen unsere Journalisten mit ihrem Mantra „… auf Kosten oder zu Lasten des Steuerzahlers“ bei ihren Kunden fortwährend Wut, die bei der Lösung der Probleme nicht hilfreich ist.
Den größten Schaden richten Regierende an, wenn sie ihr Land in einen Angriffskrieg führen, den sie dann verlieren. Aus der wilhelminischen Zeit der Flottenaufrüstung haben wir noch die Schaumweinsteuer. Die Schlachtschiffe, mit denen das Kaiserreich der maritimen Weltmacht der damaligen Zeit trotzen wollte, wurden demnach auch auf Kosten der Sekttrinker gebaut. Allerdings erbrachte die Steuer nur ca. 0,6% der ganzen Rüstungskosten. Die gewaltigen volkswirtschaftlichen Schäden wurden anders verteilt: Wertlos gewordene Kriegsanleihen, Entwertung aller Geldforderungen durch Inflation zugunsten der Schuldner bis zum Verkauf des Zündholzmonopols in das Ausland. Aber auch Siegermächte haben auf Forderungen gegen Deutschland verzichtet und sich damit entschlossen, einen Teil der Schäden zu tragen. Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 war im Vergleich mit Bankenrettungen aus heutiger Zeit eine Großtat – aus geostrategischem Interesse und in einer Gesamtbetrachtung für die Siegermächte vorteilhaft – und nicht eine zusätzliche Belastung der ihrer Steuerzahler.