Liebe Leser*,
ein neues Kapitel beginnt. Ich arbeite schon seit einiger Zeit mit einigen Kollegen an einer Zusammenführung der Ideen, die sich am besten mit „Relevanter Ökonomik“ beschreiben lassen. Auf dieser Seite will ich im Vorgriff auf die dazu geplante Veröffentlichung einige dieser Ideen vorstellen und zudem erklären, wie man mit dieser relevanten Ökonomik effektive Wirtschaftspolitik betreiben kann. Dabei werde ich auch immer wieder Stellung zu aktuellen Entwicklungen nehmen.
Die große Mehrzahl der Wissenschaftler, die versucht haben, das komplexe System Marktwirtschaft zu ergründen, haben sich die Frage gestellt, auf welche Weise der Markt ein bestimmtes Problem löst. Nur wenige haben gefragt, wie sich die wirtschaftlichen Abläufe in der Wirklichkeit darstellen und ob Märkte dabei eine Rolle spielen und, wenn ja, welche.
Genau da liegt das Problem. Wirtschaftswissenschaft ist bislang eine Wissenschaft, die vordringlich Marktlösungen sucht statt Erklärungen für das, was geschieht. Schon die Aufteilung der Welt in „Märkte“, vom Kapitalmarkt über den Gütermarkt bis zum Arbeitsmarkt, die praktisch jedes Modell und jedes Lehrbuch der Ökonomik zum Leitfaden nimmt, führt fundamental in die Irre. Die Frage, ob und wie ein Markt funktionieren könnte, ersetzt die Frage, die eigentlich Ausgangspunkt jeder Wissenschaft ist, nämlich welche Abläufe in der Wirklichkeit zu beobachten sind.
Weil die Suche nach Marktlösungen das Forschungsinteresse der meisten Ökonomen dominiert, neigen sie dazu, die wirkliche Welt durch Modelle zu ersetzen, in denen Märkte Probleme lösen. Ob die Annahmen, die diesen Modellen zugrunde liegen, noch in ausreichender Weise mit der Wirklichkeit übereinstimmen, ist für den typischen marktwirtschaftlich orientierten Ökonomen nebensächlich. Schwache empirische Bestätigungen lassen sich auch für Modelle finden, die nichts mit den realen Abläufen zu tun haben, wenn man eine geeignete ökonometrische Methodik einsetzt. Für die Frage, wie sich mit staatlicher Politik die Lage der Masse der Menschen verbessern lässt, finden sich auf diesem Weg nur durch Zufall tragfähige Antworten.
Man muss daher einen völlig anderen Weg gehen. Man muss fragen, ob es für die wichtigsten empirisch immer wieder zu beobachtenden Phänomene angemessene Erklärungen gibt, wenn man grundlegende makroökonomische Zusammenhänge berücksichtigt. Einzelne Märkte und einzelwirtschaftliches Verhalten werden selbstverständlich in diese Erklärungsversuche einbezogen. Für die entscheidenden makroökonomischen Preise aber, den Zins, die Löhne und die Währungsrelationen (also Wechselkurse und reale Wechselkurse), können Überlegungen entlang des Marktmechanismus nicht zu wirtschaftspolitisch verwertbaren Erkenntnissen führen, weil Evidenz und Logik zeigen, dass hier die Voraussetzungen für stabile Angebots- und Nachfrageverhältnisse niemals gegeben sind.
Mir ist wichtig zu zeigen, dass aus einer allgemein verständlichen wissenschaftlichen Auseinandersetzung ganz konkrete Politikempfehlungen folgen. Ich werde also immer wieder aktuelle Themen aufgreifen und sie im Lichte der auf dieser Seite vorgestellten „Relevanten Ökonomik“ kommentieren. Weder der Großteil der ökonomischen Fachwelt noch die großen Medien sind zu einer zusammenhängenden kritischen Analyse gesamtwirtschaftlicher Vorgänge in der Lage. Wen wundert es da, dass sich Politiker immer mehr auf ideologische Schablonen und inhaltsleere Sprechblasen zurückziehen und bei der Auseinandersetzung mit den großen Themen der Zeit versagen? Dazu möchte ich meinen Lesern ein Gegenangebot machen.
Heiner Flassbeck
*Ich werde mich auf dieser Seite aller Sternchen oder sonstigen Genderzeichen enthalten. Mit „den Lesern“ sind selbstverständlich alle Menschen ohne jedes Ansehen ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe oder irgendeiner anderen Kategorie gemeint.